Süddeutsche Zeitung

EU-Kommission:Vestager fällt auf

  • Die Liberalen wollen mit dem über Jahrzehnte gewachsenen Duopol von Christ- und Sozialdemokraten brechen.
  • Als Nachfolgerin von Jean-Claude Juncker würden sie gerne die Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager in Stellung zu bringen.
  • Obwohl Vestager in Brüssel beliebt ist, gibt es auch Punkte, die ihre Chancen mindern. Etwa, dass sie nicht von Beginn an als Spitzenkandidatin angetreten ist.

Von Karoline Meta Beisel und Alexander Mühlauer, Brüssel

Seit der Europawahl reden Politiker und Diplomaten hinter verschlossenen Türen über kaum ein anderes Thema: Wer könnte der nächste Chef der EU-Kommission werden? Sobald aber eine Kamera läuft, tun alle so, als ginge es ausschließlich um Inhalte. "Heute wird nicht Mr. oder Mrs. Europa gewählt, heute ziehen wir eine Bilanz der Europawahlen", sagt etwa der luxemburgische Premier Xavier Bettel am Dienstag im Brüsseler Egmontpalast.

Dort trafen sich vor dem Abendessen der Staats- und Regierungschefs Vertreter der europäischen Liberalen, um ihre Taktik für den Abend zu besprechen: Wie können sie es schaffen, die Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager als Nachfolgerin von Jean-Claude Juncker in Stellung zu bringen? Einer, der Lust hatte, bei dem Treffen auch öffentlich zu reden, war FDP-Parteichef Christian Lindner. Vestager sei nicht nur eine Spitzenkandidatin, sondern sogar eine "Spitzen-Kandidatin" - aber Lindner hat nichts zu sagen, nicht an diesem Tag: Es sind die Staats- und Regierungschefs, die dem EU-Parlament einen Kandidaten vorschlagen müssen, den das Parlament wählen soll.

Die Liberalen verstehen sich dabei als Königs- beziehungsweise Königinnenmacher. Sie wollen mit dem über Jahrzehnte gewachsenen Duopol von Christ- und Sozialdemokraten brechen. Ihr Anspruch: den mächtigsten Posten selber zu besetzen, den die EU zu vergeben hat, den des Kommissionspräsidenten.

Das Problem dabei: Um den französischen Präsidenten Emmanuel Macron (und die Stimmen seiner Renaissance-Bewegung) auf ihre Seite zu holen, mussten sich die Liberalen gegen das Modell eines Spitzenkandidaten aussprechen. Denn Macron ist dafür, dass die Regierungschefs wieder unter sich ausmachen, wer Chef der EU-Behörde werden soll. Im Wahlkampf konnten die Liberalen darum nicht mit einem echten Spitzenkandidaten antreten, sondern nur mit einem Spitzenteam - und mit Vestager als prima inter pares. Erst in der Wahlnacht hat Margrethe Vestager erklärt, was in Brüssel schon lange kein Geheimnis mehr war: Sie will Jean-Claude Juncker an der Spitze der EU-Kommission nachfolgen. Wie ihre Chancen dafür sind? "Das ist schwer zu sagen", sagt Vestager am Dienstag. Alles sei sehr "undurchsichtig und heikel".

Vestager hat sich mit den mächtigsten Konzernen der Welt angelegt

Vestager hat in Brüssel geschafft, was man von den meisten ihrer Kommissarskollegen nicht behaupten kann: Sie fällt auf. Die Dänin hat sich mit den mächtigsten Konzernen der Welt angelegt, mit Google und Facebook, Apple und Amazon. Sie hat erreicht, dass die EU nicht mehr wehrlos wirkt gegenüber den Tech-Giganten aus dem Silicon Valley. Sie steht für ein Europa, das für seine Interessen kämpft. Als Kommissarin für Wettbewerb muss sie das schützen, was die EU am stärksten zusammenhält: den Binnenmarkt.

Die Dänin versteht es, komplizierte Entscheidungen in einfachen Worten zu erklären. Als sie etwa im Sommer 2016 eine 13-Milliarden-Euro-Strafe gegen Apple verhängte, erlaubte sie sich den Hinweis, dass man bei dem Steuersatz von 0,005 Prozent, den der US-Konzern in Irland gezahlt haben soll, doch "einen zweiten Blick auf den Steuerbescheid werfen sollte". Der Satz polarisierte. Und das will Vestager auch. Das war schon in ihrer Zeit als dänische Ministerin so. Vestager war Vize-Regierungschefin und Wirtschaftsministerin. Sie setzte eine harte Sozialreform durch und wird von ihren Gegnern seitdem "Eiskönigin" genannt, und sie war eines der Vorbilder für die Hauptfigur in der dänischen Fernsehserie "Borgen".

Obwohl Vestager in Brüssel beliebt ist, gibt es auch Punkte, die ihre Chancen mindern. Etwa, dass sie nicht von Beginn an als Spitzenkandidatin angetreten ist. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Ska Keller sagte zwar am Dienstag, sie betrachte Vestager jetzt als Spitzenkandidatin, aber lange war das nicht so. Hinzu kommt, dass die Dänen am 5. Juni ein Parlament wählen und es nicht gut aussieht für Vestagers eigene Partei. Und schließlich sind bei den Liberalen auch andere ehrgeizig: Fraktionschef Guy Verhofstadt würde gern Parlamentspräsident werden. Dass es am Ende aber gleich zwei Liberale in Spitzenämter schaffen, ist unwahrscheinlich.

Die Geschlossenheit, mit der die Liberalen jetzt für Vestager kämpfen, kaschiert die innere Zerrissenheit der Parteienfamilie. Wenn es etwa um Macrons Ideen für die Zukunft der Wirtschafts- und Währungsunion geht, gibt es innerhalb der Alde starken Widerstand. So ist der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte klar gegen ein von Macron gewünschtes Euro-Zonen-Budget, das helfen soll, wirtschaftlich angeschlagene Länder zu stabilisieren. Auch die FDP ist in dieser Frage eindeutig auf Ruttes Linie. Die deutschen Liberalen lehnen jegliche neue Transferzahlungen unter den Euro-Staaten ab.

Und Vestager? Sie kann sich zu Fragen, die die gemeinsame Währung betreffen, zurückhalten, schließlich ist ihr Heimatland Dänemark nicht Mitglied der Euro-Zone. Ihre politischen Gegner sehen darin eine Schwäche und fragen deshalb schon: Kann es überhaupt eine EU-Kommissionspräsidentin geben, die aus einem Land kommt, wo nicht mit dem Euro bezahlt wird?

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SZ vom 29.05.2019/dit
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