Europawahl:Streng geheim

Die EU will verhindern, dass Ergebnisse vor Sonntag durchsickern. Aber selbst in Brüssel glaubt kaum jemand, dass dies gelingt.

Martin Winter, Brüssel

Es ist schwer, Wahlergebnisse in einer Zeit zurückzuhalten, in der die Medien unentwegt nach Neuigkeiten lechzen. Und in der, wie bei der Wahl des Bundespräsidenten, Wichtigtuer aus vertraulichen Sitzungen heraus Sieg und Niederlage ins globale Netz hinauszwitschern (twittern), bevor sie in der gehörigen Weise verkündet werden können.

Europawahl: Eine Studentin bereitet im Rathaus in Dresden die Wahlunterlagen für die Europawahl 2009 vor.

Eine Studentin bereitet im Rathaus in Dresden die Wahlunterlagen für die Europawahl 2009 vor.

(Foto: Foto: dpa)

Die EU-Kommission hat darum am Mittwoch alle Mitgliedsländer erneut daran erinnert, dass sie die Ergebnisse der Europawahlen erst dann veröffentlichen dürfen, wenn die letzten Wahllokale geschlossen wurden. Das sind am Sonntag um 22 Uhr jene in Italien und Polen.

Dass einzelne Ergebnisse durchsickern, wird sich aber nur schwer verhindern lassen. Schließlich wählen Briten und Niederländer schon an diesem Donnerstag. Am Freitag folgen dann die Iren, am Samstag die Tschechen und ein paar andere und am Sonntag dann das Gros der 27 Länder.

Niemand glaubt in Brüssel, dass die frühen Voten bis Sonntagnacht komplett vertraulich bleiben werden. Dabei haben die Mitarbeiter von Innenkommissar Jacques Barrot nicht die Wahlnachfragen privater Forschungsinstitute im Visier. Das sind schließlich nur "Prognosen". Was ihnen Sorgen bereitet, sind Leute aus Wahlkommissionen, die Ergebnisse heimlich ins Internet stellen oder an die Presse geben.

Sorgen machen aber auch die Niederländer. Eigentlich dürfen die Mitgliedstaaten ihre Wahlergebnisse nach dem europäischen Direktwahlakt von 1976 "erst dann amtlich bekanntgeben", wenn alle gewählt haben. Den Haag aber will noch am Donnerstagabend "inoffizielle Resultate" bekanntgeben.

Das, heißt es trotzig unter niederländischen Diplomaten, habe man 2004 auch so gemacht und außerdem habe jeder Holländer das Recht auf Einsicht in die Wahlergebnisse unmittelbar nach der Auszählung. Gegen europäisches Recht verstoße man nicht, da das Ergebnis "amtlich" erst Sonntagnacht mitgeteilt werde.

Formal mag Den Haag sich mit dieser verbalen Haarspalterei herausreden. Doch gegen den Sinn des Direktwahlaktes verstößt es. Denn da 1976 wegen unterschiedlicher nationaler Traditionen - Briten und Niederländer etwa wählen nie am Sonntag - kein gemeinsamer Wahltag festgelegt werden konnte, hatte man sich wenigstens auf eine zeitgleiche Bekanntgabe der Ergebnisse geeinigt. Sie soll verhindern, dass die Resultate des einen Landes das Verhalten der Wähler in einem anderen beeinflussen.

Hoffnung für Europagegner

Die Wahlforschung kennt nämlich den Effekt, dass manche Wähler sich in letzter Minute zu dem Lager hin orientieren, in dem sie den Sieger vermuten. Frühzeitig bekanntgegebene Ergebnisse können das Gesamtresultat der Europawahl also durchaus verändern.

In diesem Jahr könnten die Europagegner auf diesen Effekt setzen. Wenn sie in Großbritannien wegen der allgemeinen Verärgerung über die politische Klasse wie erwartet gut abschneiden und das mit sicheren Zahlen vorzeitig belegt wird, dann könnten sie damit ihre Anhänger in den anderen Ländern mobilisieren.

Als die Technik der Wahlnachfragen noch nicht so ausgereift war wie heute und niemand an Handys, Internet und Twittern dachte, da reichte der Hinweis auf den Direktwahlakt aus. Doch heute ist die EU ratlos, wie sie die vorübergehende Vertraulichkeit der Wahlergebnisse sichern soll. Gegen die illegale Weitergabe ist sie machtlos. Vertragsbrüchige Regierungen könnte sie zwar vor den Europäischen Gerichtshof zerren. Aber erst nach der Wahl.

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