Süddeutsche Zeitung

Europawahl:Sternchen, Stars und Extremisten

Anrüchige Kollegen: Warum so viele schillernde, populistische und extremistische Personen den Sprung ins Europaparlament geschafft haben.

Cerstin Gammelin, Brüssel

So viele Stars, Sternchen, Populisten und Extremisten wie nie zuvor sind in das Europäische Parlament eingezogen. Elena Basescu, die jüngere Tochter des rumänischen Staatspräsidenten, gehört dazu.

Trotz - oder wegen - ihres Rufes als rumänische Paris Hilton errang die als Unabhängige angetretene promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin 4,2 Prozent der Stimmen und damit einen Platz in Straßburg. In ihrer Nähe dürfte bald einer der schwedischen Piraten sitzen.

Die für das kostenlose Laden von Dateien aus dem Internet kämpfende Partei errang in dem skandinavischen Land so viele Stimmen, dass sie in die EU-Volksvertretung einziehen kann. Aus dem Stand schaffte es auch Rechtspopulist Geert Wilders. In den Niederlanden ging die rechtsextreme Freiheitspartei des Islamkritikers als zweitstärkste Partei aus der Wahl hervor. In Österreich wiederum errang Hans-Peter Martin fast ein Fünftel der Stimmen mit der Ankündigung, Missstände in der EU-Verwaltung aufzudecken.

Klarer Trend

Zwar stehen die vier Abgeordneten für völlig unterschiedliche Themen, dennoch symbolisieren sie einen Trend. Mehr und mehr Europäer fühlen sich von den großen Parteien nicht mehr ausreichend vertreten. Sie verfallen in politische Apathie. Wer dennoch wählen geht, entscheidet sich immer öfter für eine bisher unbedeutende Randgruppe.

Im neuen Parlament werden nach den vorläufigen Ergebnissen 110 Abgeordnete sitzen, die in die Kategorien "Sonstige Parteien" oder "EU-Skeptiker" fallen. Sie vereinen insgesamt 15 Prozent aller Stimmen, so viele wie bei keiner Wahl zuvor. Würden die stark heterogene Gruppe gemeinsame Interessen vertreten, könnte sie nach der Europäischen Volkspartei EVP und den Sozialisten PSE die drittstärkste Fraktion bilden. Ihre Stärke verdankt sie allerdings auch den britischen Tories und der tschechischen ODS, die mit nunmehr 24 beziehungsweise neun Sitzen aus der Parteienfamilie der europäischen Volkspartei ausgetreten sind.

"Irrlichternder Skeptiker"

Unter den Randgruppen gehen vor allem die EU-Skeptiker gestärkt aus der Europawahl hervor. Der 52-jährige Österreicher Hans-Peter Martin, einst Journalist, seit 1999 unabhängiger Abgeordneter im Europäischen Parlament und dort seit 2004 für die Kontrolle des Haushaltes zuständig, holte mit dem Versprechen von mehr Transparenz 18 Prozent der Stimmen. Einer der österreichischen EU-Abgeordneten kommentierte den Erfolg Martins mit bitterem Unterton: "Ich bin froh, dass dieser irrlichternde Skeptiker die Stimmen bekommen hat und nicht die Rechte".

Bei der europakritischen Fraktion im Europäischen Parlament (Unabhängigkeit und Demokratie) hielten sich Gewinne und Verluste die Waage. Vor allem die britische United Kingdom Independence Party (UKIP) legte zu.

Sie errang 13 statt bisher 10 Sitze und überholte damit zu Hause sogar die durch einen Spesenskandal geschwächte Labour-Partei von Premier Gordon Brown. Dafür verloren die bisherigen Abgeordneten aus Tschechien, Dänemark, Schweden und Polen ihre Mandate.

Missglückt ist auch der vollmundig angekündigte Einzug der Libertas-Partei. Der Anführer der Kampagne gegen den Reformvertrag von Lissabon, Declan Ganley, kam nach bisherigen Auszählungen in seinem Wahlbezirk im Nordwesten Irlands nur auf den vierten Platz - und landete damit im Aus. Zwar fordert der schillernde Geschäftsmann, nochmals zu zählen, weil angeblich ,,tausende Stimmen'' der Konkurrenz zugeordnet wurden. Sollte sich das Ergebnis aber bestätigen, müsste Ganleys Libertas eine schwere Niederlage hinnehmen. Die Partei errang nur in Frankreich ein Mandat.

Zuwachs für Rechtsextreme

Quer durch Europa legten auch rechtsextreme Parteien tendenziell zu, in einigen Ländern besonders spektakulär. Großbritannien schickt erstmals zwei Mitglieder der British National Party (BNP) in die europäische Volksvertretung. Die Partei lässt nur Weiße als Mitglieder zu, kämpft gegen Einwanderer und will Großbritannien aus der Europäischen Union abmelden. Parteichef Nick Griffin kündigte selbstbewusst an, die Partei werde "sehr schnell wachsen". Sie werde bereits bei den kommenden Parlamentswahlen mit einigen starken Bewerbern antreten. In Österreich verdoppelte Rechtspartei FPÖ ihren Stimmenanteil auf mehr als 13 Prozent.

In den neuen Beitrittsländern gleichen sich Verluste und Gewinne weitgehend aus. In der Slowakei brach die mit den Sozialdemokraten regierende rechtsradikale Nationalpartei (SNS) ein. SNS-Chef Jan Slota fällt öfter durch Hetztiraden gegen Ungarn auf. Einige Minister sind verdächtig, öffentliche Aufträge manipuliert zu haben. Das hat der Partei offenbar geschadet. Sie kam nur auf 5,4 Prozent. Einen aufsehenerrregenden Erfolg feierte die ultranationalistische Partei Romania Mare. Sie errang zwei Sitze. Neben Parteichef Corneliu Vadim Tudor zieht der Besitzer des Fußballclubs Steaua Bukarest, Gigi Becali, in die Volksvertretung ein.

Das von der Wirtschaftskrise hart getroffene Ungarn ist nach rechts gerückt. Die national-konservative Oppositionspartei Fidesz eroberte 14 Sitze. Drei Sitze errang die rechtsextremistische "Bewegung für ein besseres Ungarn" (Jobbik). Die Partei, die Kameraden in Uniform aufmarschieren lässt, zieht erstmals in das Parlament ein. Damit werden in Straßburg werden künftig 36 eindeutig rechtsradikale Abgeordnete aus 13 Ländern und 15 Parteien sitzen, zwei mehr als bisher.

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SZ vom 9.6.2009
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