Es ist kein einfacher Weg, den Enrico Kreft am Wochenende vor sich hat. Aber, so sagt er, er sei bereit, wieder zu kämpfen. Es gehe ihm darum, seine Partei von der "Machtlogik wegzubekommen", die in der SPD-Zentrale in Berlin offenbar herrsche. Er hat das Gefühl, sie höre nicht mehr auf die Basis. Kreft geht es um nicht weniger als um "Klarheit und Gerechtigkeit".
Am Sonntag beschließt die SPD in Berlin bei einer Delegiertenkonferenz ihre Kandidatenliste für die Europawahl im Mai. Wenn Kreft die Situation nicht noch dreht, dann ist der 40 Jahre alte leidenschaftliche Europapolitiker aus Schleswig-Holstein auf keinem der aussichtsreichen Listenplätze vertreten.
Dies ist allein deshalb schon verwunderlich, weil sein Landesverband ihn Anfang November noch zum Spitzenkandidaten gewählt hatte. Damals setzte sich der Lübecker gegen die stellvertretende Juso-Bundesvorsitzende Delara Burkhardt, 26, durch. Als sich dann aber der SPD-Bundesvorstand die Listen aus den Ländern vornahm, um einen Vorschlag für die Konferenz am Sonntag zu erarbeiten, stellte das Ergebnis das Votum aus Schleswig-Holstein auf den Kopf.
Weil Parteichefin Andrea Nahles versprochen hatte, die Liste "jünger und weiblicher" zu machen, rutschte Delara Burkhardt auf Listenplatz fünf vor und Kreft in die Chancenlosigkeit ab - auf Platz 32. Wochenlang war er durch Schleswig-Holstein getourt. Soll ein Blumenstrauß, den er in Kiel bei seiner Wahl bekommen hatte, wirklich alles sein, was ihm bleibt?
In der Partei rumort es. Kreft ist kein Einzelfall, aber er ist jener, der am deutlichsten die Nöte und Zwänge der Partei verkörpert. Die 27,3 Prozent, die die SPD mit Martin Schulz, damals EU-Parlamentspräsident, bei der Europawahl 2014 noch holte, dürften für die SPD des Jahres 2018 kaum erreichbar sein. In Umfragen liegt sie derzeit bei nur noch 15 Prozent.
Es gilt aber die Faustformel: Für jedes Prozent beim Wahlergebnis gibt es einen Abgeordneten, eine Abgeordnete. Das lässt nichts Gutes erwarten. Jedenfalls beanspruchten alle Landesverbände, möglichst unter den ersten 15 bis 20 Listenplätzen berücksichtigt zu werden. Nur diese gelten noch als aussichtsreich. Die mitgliederstarken Landesverbände wie Nordrhein-Westfalen, die mehrere Abgeordnete nach Brüssel schicken, wollten auch nicht zurückstehen. Verletzungen waren unausweichlich.
Der SPD geht gerade wirklich nichts leicht von der Hand
Als der Vorstand über der Liste brütete, war von minimalen Eingriffen die Rede. Aber die Außenwirkung ist verheerend, wie der Fall Kreft zeigt. Schleswig-Holsteins SPD-Chef Ralf Stegner, Parteivize, stimmte noch in der Sitzung gegen den Listenvorschlag und distanzierte sich öffentlich davon. Auch die Südwest-SPD fühlt sich ungerecht behandelt, weil ihre bisherigen Europaabgeordneten Evelyne Gebhardt und Peter Simon nur die hinteren Plätze 25 und 28 zugewiesen bekommen haben, dafür aber der Bundesvorstand die damalige Landesgeneralsekretärin Luisa Boos auf den sicheren Listenplatz 15 hievte.
Landeschef Andreas Stoch machte schon klar, dass die Plätze für die beiden amtierenden Abgeordneten nicht akzeptabel seien. In der Parteizentrale wiederum heißt es, aus manchen Landesverbänden sei wenig Bereitschaft zu erkennen gewesen, bei der Europaliste schon den Erneuerungswillen zu bekunden. So viel Freiheit nehme man sich, dann doch einzugreifen.
Das letzte Wort haben die Delegierten am Sonntag. Es ist zu erwarten, dass es alles andere als harmonisch zugehen wird. Die Frage ist, wie offen mit der Parteispitze wegen des Eingreifens in die Liste abgerechnet und wie viel Erneuerung am Ende noch in der Liste zu erkennen sein wird, wenn die Delegierten damit fertig sind. Wie auch immer der Tag für Kreft ausgeht, er verspricht, sich trotzdem für die Europawahl ins Zeug zu legen. "Bockig sein hilft nicht", sagt er.
Der SPD geht gerade wirklich nichts leicht von der Hand. Der Listen-Frust überschattet, dass es Nahles nach langem Zureden doch noch gelungen war, mit Justizministerin Katarina Barley eine gewichtige Politikerin zur Spitzenkandidatur zu überreden. Jeder in der SPD weiß, wie schwer sie es haben wird. Die SPD kann diesmal nicht auf die Zugkraft eines renommierten Europapolitikers wie Schulz setzen. Dennoch löste Barley ein Gefühl von Zuversicht in der Partei aus, als sie ihre Kandidatur ankündigte. Im Willy-Brandt-Haus gab es, was selten geworden ist, Beifall für eine Entscheidung.