Probleme bei der Europawahl:"Das Stresslevel war sehr hoch"

Europawahl - Stimmenauszählung Hannover

Jedes EU-Land bestimmt selbst, wie seine Bürger aus dem Ausland abstimmen können: Für Deutsche ausschließlich per Briefwahl. Aber nicht immer funktionierte das reibungslos.

(Foto: dpa)
  • EU-Ausländer berichten europaweit von Problemen bei der Stimmabgabe für die Europawahl. Besonders Großbritannien und Rumänien sollen betroffen sein.
  • Der Unmut der Betroffenen ist groß. Einige von ihnen fordern, die Wahl solle wiederholt werden.
  • Die Gründe dafür liegen nur teilweise bei den Behörden. Vor allem sorgte das uneinheitliche Wahlsystem der EU für Verwirrung.

Von Zita Zengerling

"Ich wollte das erst gar nicht erzählen, weil es mir so peinlich war", sagt Silke Kruse-Weber. "Ich wusste ja, wie wichtig die Wahl war." Kruse-Weber spricht davon, dass sie bei der Europawahl am Sonntag keine Stimme abgegeben hat. Die Professorin aus München arbeitet in Österreich und musste deshalb Briefwahl beantragen, um in Deutschland wählen zu können. Nach eigenen Angaben hatte sie das schon drei Wochen vor der Wahl getan. Erhalten habe sie die Unterlagen erst am Samstag, einen Tag vor der Wahl - zu spät, um sie noch pünktlich nach München zu schicken. "Für mich war es also unmöglich zu wählen", sagt Kruse-Weber. Auch Kollegen hätten diese Erfahrung gemacht. Aus dem Büro des Bundeswahlleiters heißt es dazu, das passiere manchmal, dass Briefwahlunterlagen verzögert ankämen - dafür seien die Länder und Gemeinden verantwortlich.

Europaweit beschweren sich im Ausland lebende EU-Bürger nach der Wahl über Schwierigkeiten bei der Stimmabgabe. Es sind Einzelfälle, für die es verschiedene Ursachen gibt, aber ein paar grundlegende Probleme lassen sich für die Pannen doch ausmachen.

Wähler und Behörden scheinen in diesen Fällen vom komplizierten Europawahlrecht überfordert zu sein. Jeder EU-Mitgliedstaat wählt die Abgeordneten des Europäischen Parlaments nach seinem eigenen System. Das gilt auch für die Stimmabgabe der Bürger im Ausland: Wie die Deutschen konnten beispielsweise auch Luxemburger im EU-Ausland ausschließlich per Briefwahl wählen, Portugiesen konnten nur im Konsulat ihre Stimme abgeben, für Dänen war beides möglich.

Bei den Europawahlen gibt es zudem eine zweite Möglichkeit: Im EU-Ausland lebende Unionsbürger können sich bei den regionalen Behörden des Landes registrieren, in dem sie aktuell leben. Wer das getan hatte, wählte am Sonntag genau wie die Einheimischen in einem Wahllokal vor Ort.

Aber auch dabei funktionierte nicht immer alles reibungslos, wie der Rumäne Iulian Ovidiu Bohan berichtet. Er habe sich rechtmäßig und fristgerecht ins deutsche Wahlregister eintragen lassen, vom Sachbearbeiter sogar eine Bestätigung erhalten. Als Bohan dann aber am Sonntag zur Wahl gegangen sei, habe er dennoch nicht auf der Liste gestanden. Niemand habe ihm das erklären können, aber wählen durfte er trotzdem nicht. "Für mich ist das Rassismus", sagt er dazu, dass er als Ausländer seine Stimme nicht so problemlos abgeben konnte wie seine deutschen Nachbarn.

Die Rumänin Miruna Werkmeister hatte sich nicht in Deutschland registrieren lassen. "Mir war klar, dass Rumänien meine Stimme mehr braucht als Deutschland", sagt die 33-Jährige. Deshalb sei sie zum rumänischen Konsulat in München gegangen. Neuneinhalb Stunden habe sie dort mit vielen anderen gewartet. "Die Behörden waren überfordert. Sie hatten nur acht Wahlkabinen vorbereitet für Hunderte oder Tausende Rumänen."

"Eine Frau vor mir in der Schlange hatte einen Nervenzusammenbruch", erzählt Werkmeister, "sie fing an zu weinen. Das Stresslevel war sehr hoch. Die ganze Zeit haben wir uns gefragt, ob wir es noch schaffen." Werkmeister schaffte es noch. Als die Stimmabgabe der Rumänen um 21 Uhr enden sollte, blieb das Konsulat wegen der Schlange noch knapp eine Stunde länger geöffnet, bis die Wahlhelfer schließlich nicht mehr auf das Wählerverzeichnis in Rumänien zugreifen konnten und etliche Menschen nach Hause schickten, ohne dass sie ihre Stimme abgegeben hatten. Berichten der Deutschen Presse-Agentur zufolge hat sich der rumänische Botschafter in Deutschland mittlerweile für das Chaos entschuldigt. Aus anderen europäischen Städten wurden ähnliche Zustände berichtet. "Da fragt man sich schon, ob eine Intention dahinter steckt. Aus dem Ausland erhält die Regierungspartei in Rumänien nämlich immer richtig wenige Stimmen", sagt Werkmeister und fragt sich: "Wieso darf jedes Land so abstimmen, wie es möchte? Warum bestimmt die EU nicht, wie die Wahlen abzuhalten sind?"

"Keine Zeit, stundenlang nach Italien zu fahren"

Ein einheitliches Wahlrecht ist seit vielen Jahren im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union vorgesehen. In Artikel 223 steht: "Das Europäische Parlament erstellt einen Entwurf der erforderlichen Bestimmungen für die allgemeine unmittelbare Wahl seiner Mitglieder nach einem einheitlichen Verfahren in allen Mitgliedstaaten oder im Einklang mit den allen Mitgliedstaaten gemeinsamen Grundsätzen."

Es sei also vorgesehen, dass das Europäische Parlament Entwürfe für ein einheitliches Wahlverfahren ausarbeitet, die der Rat dann einstimmig beschließen müsse, erklärt Joachim Schild, Professor am Zentrum für Europäische Studien der Universität Trier. "Das ist aber bisher noch nicht umgesetzt worden. Nationale Parteien wollen die Entscheidung über die Gestaltung des Wahlrechts nicht aus der Hand geben, auch weil sie die Kontrolle über die Auswahl der Kandidaten behalten wollen."

Dabei unterscheiden sich die Wahlsysteme zur Europawahl teilweise sogar von den Bestimmungen der Länder bei nationalen Wahlen. Wer zum Beispiel als Italiener außerhalb der EU wohnt, also zum Beispiel in der Schweiz, der konnte am Sonntag nur abstimmen, wenn er nach Italien reiste, in den letzten Wahlkreis, in dem er gelebt hatte. "Bei nationalen Wahlen kann ich im Konsulat abstimmen. Bei der Europawahl gibt es diese Möglichkeit nicht", erklärt Alberto Calatroni. Der 38-jährige Italiener wohnt und arbeitet in Zürich. "Ich hätte gerne abgestimmt, aber am vergangenen Wochenende hatte ich keine Zeit, stundenlang in das Dorf meiner Eltern zu fahren."

In Großbritannien, das schließlich noch Teil der EU ist, hätte das Wählen eigentlich kein Problem sein dürfen. Viele EU-Ausländer berichteten jedoch, sie seien, trotz Wahlbenachrichtigung und Registrierung, in den Wahllokalen abgewiesen worden. In Cambridge sank die Wahlbeteiligung unter EU-Ausländern rapide, obwohl sie im Allgemeinen anstieg. Einige Betroffene forderten im Anschluss, die Wahl müsse wiederholt werden.

Grund für den Ärger war in den meisten Fällen wohl ein fehlendes Formblatt. Um eine doppelte Stimmabgabe zu verhindern, hätten EU-Ausländer in Großbritannien schon Anfang Mai ankündigen müssen, ihre Stimme in einem britischen Wahllokal abgeben zu wollen. Aber die Wähler waren über das besondere Verfahren kaum informiert worden. Der Wahlkampf hatte Anfang Mai seinen Höhepunkt noch lange nicht erreicht, schon gar nicht in Großbritannien: Die Frist zur Beantragung fiel mit dem 7. Mai auf denselben Tag, an dem erst beschlossen wurde, dass das Königreich überhaupt an den Europawahlen teilnehmen würde. Die britische Wahlkommission veröffentlichte noch am Wahltag ein Statement: Man verstehe die Frustration. Das Prozedere könne durchaus vereinfacht werden.

Ein in den Niederlanden lebender Belgier berichtet Ähnliches. Zwar habe er bei den gleichzeitig stattfinden Nationalwahlen abstimmen dürfen, sei aber wegen formaler Kriterien von der Europawahl ausgeschlossen worden. Auch er sagt, er sei damit in seinem Bekanntenkreis nicht allein.

Machen die Wirren der verschiedenen Systeme die Europawahl undemokratisch, so wie viele wütende Betroffenen behaupten? "Ich kann die Wut im Bauch der einzelnen Bürger nachvollziehen. Sie fühlen sich ausgeschlossen", sagt Professor Schild. Für die Gesamtqualität des demokratischen Prozesses spiele, seiner Ansicht nach, aber etwas anderes eine größere Rolle: dass die proportionale Gewichtung der Stimmen nicht gewährleistet sei, also dass deutsche Abgeordnete im Europäischen Parlament deutlich mehr Wähler vertreten als zum Beispiel maltesische, die kleineren Mitgliedstaaten also überrepräsentiert seien. Schild sagt: "Das wiegt für die demokratische Legitimation des Parlaments weit schwerer als die einzelne verlorene Stimme."

Das dürfte Silke Kruse-Weber und die anderen enttäuschten Wähler allerdings kaum trösten. Sie haben bei der nächsten Wahl wieder die Chance mitzuentscheiden, vorausgesetzt es läuft alles glatt.

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