Süddeutsche Zeitung

Europawahl:Es ist Zeit, mit den Populisten zu streiten

Gegen Rechtsaußen hilft kein Wegschauen. Auch nach dem FPÖ-Skandal gilt: Es helfen nur Argumente. Demokratische Politiker müssen die offene Konfrontation suchen.

Kommentar von Thomas Kirchner

In einer idealen politischen Welt hätte eine Partei wie die FPÖ abgewirtschaftet. In dieser Welt würde sich einer wie Heinz-Christian Strache demütig davonmachen. Auf Nimmerwiedersehen. Viele Bürger würden am kommenden Sonntag bei der Europawahl das Kreuzchen, das sie für die Blauen reserviert hatten, etwa bei den Roten oder Türkisen setzen. Und auch im näheren Ausland beschlössen manche Wähler, die nationalen politischen Freunde der FPÖ, die vielleicht nicht alle charakterlich, aber inhaltlich aus ähnlichem Holz geschnitzt sind, nicht mehr zu unterstützen.

Die politische Welt ist aber nicht ideal, wie unter anderem der Brexit, eine Entscheidung wider jegliche Vernunft, und vor allem Donald Trump gezeigt haben. Die Lehre aus dem Wirken des US-Präsidenten ist doch diese: Er kann nach Herzenslust Frauen begrapschen, Gegner diffamieren, Unsinn erzählen, lügen, Hasard spielen mit den Diktatoren der Welt, er kann sich alles, wirklich alles bis zu der Schwelle erlauben, die zum Impeachment oder ins Gefängnis führt. Und er wird dennoch gewählt. Nein, schlimmer: deswegen. Was manchen gefällt, ist gerade der Regelverstoß, das Anti-Politische, der Stinkefinger in Richtung Establishment.

Nun geht es in Mitteleuropa politisch noch zivilisierter zu als in den Vereinigten Staaten. Aber allzu groß ist der Unterschied nicht, siehe Italien, das einem Demagogen wie Matteo Salvini zu Füßen liegt. In Österreich wird sich die FPÖ einmal kräftig schütteln, und weiter geht's, nun eben wieder auf der anderen Seite. Nach dem Motto: Einer wie Strache kann die Leistung dieser Partei nicht kaputt machen. Dass sie ihre Minister aus der Regierung Kurz abzogen und gar erwägen, dem Bundeskanzler gemeinsam mit der Opposition das Misstrauen auszusprechen, ist nicht gerade ein Zeichen von Demut. Strache selbst schreibt auf seiner Facebook-Seite: "Jetzt erst recht!"

Läuterung klingt anders. In Deutschland redet AfD-Chef Meuthen vom "singulären Ereignis", das nichts bedeute, in Frankreich sagte Marine Le Pen, das Ganze sei "eine Sache der österreichischen Innenpolitik". Bei einem Treffen in Mailand am Samstag schwiegen sich die versammelten Rechtspopulisten über Ibiza aus. In anderen EU-Ländern wird die Affäre insgesamt ohnehin weniger beachtet als in Österreich und Deutschland, so weit ist es noch nicht her mit der europäischen Öffentlichkeit. Anders gesagt: Auf das Ergebnis der Europawahl wird die Causa Strache wohl nicht unbedingt Einfluss haben. Allenfalls könnten die EU-Feinde, die sich in der Märtyrer-Rolle besonders gefallen, in einer Trotz-Reaktion der Wähler sogar noch gestärkt werden. So verrückt ist die Welt. Selbstzufriedenheit oder gar Siegesgewissheit sind unangebracht. Die Nationalisten bleiben der EU erhalten. Und müssen geschwächt werden. Doch wie?

Es lohnt sich, einen Blick auf die Niederlande zu werfen, wo seit bald 20 Jahren Populisten wie Pim Fortuyn, Geert Wilders und nun Thierry Baudet den pro-europäischen Parteien zusetzen. Auch dort hat man versucht, die Rechten einzubinden. 2010 war das, als Premier Mark Rutte sein erstes Kabinett bildete, mit Wilders' Freiheitspartei als "Duldungspartner". Zwei Jahre später platzte die Regierung, weil Wilders keine Lust mehr hatte. Damals schwor sich Rutte: nie wieder mit Rechtsaußen! Jetzt hat er gerade noch rechtzeitig Baudet, der von einer "Renaissance" des Nationalstaats und des weißen Europas früherer Jahrhunderte schwadroniert, als politischen Feind Nummer eins erkannt, den er mit allen Mitteln bekämpft. Am Mittwoch will Rutte sogar zum Eins-gegen-eins-Duell im Fernsehen gegen Baudet antreten, mit einer klaren Botschaft: Europa ist die Lösung - und nicht das Problem. Erinnert sei auch an Emmanuel Macron, der Marine Le Pen vor der letzten Präsidentschaftswahl in Grund und Boden debattierte.

Was garantiert nicht hilft: die Rechten zu ignorieren

So könnte die Maxime lauten im Streit mit Europas Neo-Nationalisten und Vereinfachern: sich deutlich abgrenzen - und Boxhandschuhe anziehen. Denn leichter wird es künftig nicht. Was garantiert nicht hilft: die Rechten zu ignorieren und sich moralisch zu erheben über sie. Ebenso fatal wäre es zu glauben, die populistische Konjunktur befände sich nun, da die Migrationsfrage weniger und der Klimawandel mehr Schlagzeilen macht, schon wieder im Abschwung.

Im Gegenteil: In Deutschland tritt das Phänomen aus vielerlei Gründen mit Verspätung auf. Die eigentliche Auseinandersetzung mit AfD und Co. steht den anderen Parteien hierzulande erst noch bevor. Sie werden die populistische Herausforderung ernst nehmen und den Wert der europäischen Zusammenarbeit nicht bloß behaupten, sondern fühlbar und verständlich machen müssen. Dafür müssen sie seriöse EU-Kritik akzeptieren und Lösungen dafür anbieten. Das ist kein Nebenjob, das wird die Haupt- und Staatsangelegenheit der kommenden Jahre. Und niemand sollte meinen, sie oder er dürfte sich zu fein sein dafür.

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SZ vom 21.05.2019/mkoh
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