Vor wenigen Wochen sagte Jean-Claude Juncker einen bemerkenswerten Satz. Es war Anfang Juli, Österreich hatte gerade die EU-Ratspräsidentschaft übernommen und der EU-Kommissionspräsident trat in Straßburg vor Journalisten auf. "Ich wünsche mir", sagte Juncker, "dass die FPÖ aus diesem negativen Verein austritt, da gehört sie nicht voll hin."
Mit "Verein" meinte Juncker die Fraktion von Rechtspopulisten und Rechtsradikalen im Europaparlament, das "Europa der Freiheit und der Nationen" (ENF). Und mit FPÖ meinte er tatsächlich die österreichische Partei, die an der Gründung der ENF-Fraktion maßgeblich beteiligt war. Gemeinsam mit der italienischen Lega und dem französischen Front National hatte die FPÖ sie 2015 ins Leben gerufen. Aber genau diese FPÖ ist eben auch seit Dezember Teil der österreichischen Regierung - und hat den EU-Ratsvorsitz inne.
Österreich:Wie Kanzler Kurz die EU auf seine Linie bringt
Noch vor einem Monat stritten Juncker und Kurz erbittert. Jetzt besucht der EU-Kommissionschef den Abschottungsfan in Wien - und verkündet: "Österreich und die Kommission schwimmen in dieselbe Richtung."
Nachvollziehbar, dass sich Juncker ein klares Bekenntnis dieser Partei zu Europa wünscht und sie am liebsten nicht im gleichen "Verein" wie die Französin Marine Le Pen sieht, die eigenen Worten zufolge die "EU zerstören" will. Aber sollte Juncker tatsächlich die Hoffnung gehegt haben, dass sich die FPÖ durch die Regierungsbeteiligung mäßigen würde, wurde diese spätestens Ende Juli zerschlagen.
"Torkelnder Juncker ist rücktrittsreif", sagte da der FPÖ-Generalsekretär und Spitzenkandidat für die EU-Wahl, Harald Vilimsky, nachdem Videoaufnahmen eines wankenden Kommissionspräsidenten beim Nato-Gipfel aufgetaucht waren. Dieser sei sturzbetrunken gewesen, so Vilimsky. Wie die EU-Kommission hingegen verlauten ließ, habe Juncker wegen eines Ischias-Leidens unter Schmerzen gelitten. Vilimsky sagte daraufhin, er habe sich "als Laie in die Ischiasproblematik etwas eingelesen" und dabei nichts Passendes zu Junckers "Auffälligkeiten" gefunden. Die harte Attacke wird in Österreich bis heute diskutiert. Juncker forderte "Respekt", der österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen sprang ihm zur Seite. Kanzler Sebastian Kurz hingegen schwieg und schickte schließlich seinen Intimus und Kanzleramtsminister Gernot Blümel vor, der Juncker als "erfahrenen Staatsmann" lobte. Vom Koalitionspartner distanzierte man sich bis heute nicht.
Die Episode ist auch deshalb interessant, weil sie als Vorgeschmack auf die FPÖ-Kampagne für die Europawahl im Mai kommenden Jahres dient.
Parteichef Heinz-Christian Strache hat zwar bei seinem Amtsantritt als Vizekanzler im Dezember proeuropäische Kreide gefressen und sich - zumindest öffentlich - von einem Öxit, also einem österreichischen EU-Austritt, verabschiedet. Gemeinsam mit der Lega bastelt er aber gerade wieder an einer internationalen nationalen Front für den EU-Wahlkampf. Eine Formation, die den Widerspruch in sich trägt, aber seit Jahren wiederkehrender Albtraum für die liberalen Kräfte in der EU ist.
Ende Juni trafen sich Lega-Chef Matteo Salvini, Strache und FPÖ-Innenminister Herbert Kickl in Rom. In einem Interview mit der Washington Post verkündete Salvini kurz darauf, dass er rechte Parteien aus Österreich, den Niederlanden, Schweden, Frankreich und Deutschland zusammenbringen wolle, um "die Mehrheit im EU-Parlament" zu stellen - derzeit ist die ENF die kleinste Fraktion. Als Populist bezeichnet zu werden, mache ihn stolz, so der italienische Innenminister weiter in dem Interview. "Wir arbeiten daran, Europa von innen zu verändern."
Vilimsky bestätigte umgehend, dass die FPÖ bei diesem Wahlbündnis dabei sein wird. Und als die Mittelmeerinsel Mallorca ein Besuchsverbot für Salvini aussprach, rückte die FPÖ am Sonntag zur Schadensbegrenzung aus und lud den Italiener in die oberösterreichische FPÖ-Hochburg Wels zum Urlaubmachen ein.
Noch gibt man sich in Brüssel entspannt, was die Zusammenarbeit der Rechtspopulisten angeht. Auch die Pläne des früheren Trump-Beraters und US-amerikanischen rechten Ideologen Steve Bannon, der eine europaweite Bewegung ins Leben rufen möchte, werden argwöhnisch, aber nicht voller Angst betrachtet.
Schließlich kündigten Rechtspopulisten schon bei der vergangenen Wahl 2014 große Ziele an, in mehreren Ländern legten sie auch bei den Wählerstimmen zu. Doch im Europäischen Parlament verteilen sie sich neben der ENF (von FPÖ und Lega) auf zwei weitere Fraktionen - und da sind Ungarns Fidesz-Politiker in der christdemokratischen Europäischen Volkspartei (EVP) und etliche Fraktionslose noch nicht einmal mitgezählt. Dieser Zersplitterung ist geschuldet, dass sie bisher wenig im Parlament erreicht haben - und die demokratischen Pro-EU-Parteien leicht Mehrheiten organisieren konnten.
Ein großer Unterschied bei der kommenden EU-Wahl im Vergleich zu 2014 ist aber: Die ENF-Fraktion gab es in dieser Form damals noch nicht, sie wurde erst ein Jahr später gegründet. Strache, Salvini und Le Pen werden also schon alleine deshalb deutlich intensiver im Wahlkampf zusammenarbeiten - bis hin zur möglichen Aufstellung eines europaweiten Spitzenkandidaten.
Noch viel bedeutender: Viele der damals noch als nervendes Störfeuer aber nicht mehrheitsfähig geltenden Politiker, regieren heute mit. Lega-Chef Salvini ist italienischer Innenminister. FPÖ-Chef Strache österreichischer Vizekanzler. Marine Le Pen gilt zwar seit ihrer Wahlniederlage in Frankreich als deutlich geschwächt - aber auch sie sitzt zumindest seit einem Jahr im französischen Parlament. Und bei der Europawahl wird sie - da nicht wie bei einer französischen Wahl das Mehrheits-, sondern das Verhältniswahlrecht gilt - wieder deutlich besser abschneiden und voraussichtlich mehr als ein Dutzend ihrer Leute ins Europaparlament schicken.
Auch die AfD könnte bei der Wahlallianz dabei sein
Ein besonderer Fall könnte die AfD werden. Die deutschen Rechtspopulisten erhielten 2014 7,1 Prozent der deutschen Stimmen und schickten sieben Abgeordnete ins Europäischen Parlament, welche auf mehrere Fraktionen verteilt sind. In der ENF sitzt nur das frühere AfD-Mitglied Marcus Pretzell.
2014 sagte der damalige Parteichef Bernd Lucke noch, dass er mit Kräften wie dem Front National keine gemeinsame Politik machen wolle. Die heutige AfD ist bekanntlich nicht nur personell eine andere. AfD-Chef Jörg Meuthen äußerte sich dementsprechend offen im ARD-Sommerinterview zu Salvinis Wahlallianz: "Ich finde unbedingt, dass sich die Parteien, die diese rechtskonservativen Positionen vertreten, zusammenschließen sollten." Damit wird wohl nach der Wahl im kommenden Jahr auch Deutschland erstmals mit mehreren Abgeordneten die ENF-Fraktion stärken.
Jean-Claude Juncker hingegen wird spätestens nach der Europawahl als Feindbild platter FPÖ-Kampagnen nicht mehr dienen können. Im Mai 2019 entscheidet sich nicht nur das künftige Kräfteverhältnis im Europaparlament, sondern auch, wer Juncker als EU-Kommissionspräsident nachfolgt.