Am Montagmorgen steht fest: Die Partei von Donald Tusk hat PiS tatsächlich besiegt. Knapp, aber doch. Nachdem über Nacht alle Stimmen in Polen ausgezählt wurden, zeigt sich: Das Wahlbündnis Bürgerkoalition (KO) des polnischen Ministerpräsidenten konnte 37,06 Prozent der Stimmen gewinnen. Die Partei Recht und Gerechtigkeit, kurz PiS, die von 2015 bis 2023 regierte, kommt auf 36,16 Prozent. Die Wahlbeteiligung war mit knapp 41 Prozent immerhin noch die zweithöchste seit Polens EU-Beitritt 2004.
„Wir dürfen heute gerührt und glücklich sein“, hatte Tusk am Sonntagabend gesagt. Dieses Ergebnis sei ein Zeichen der Einigkeit und des Vertrauens in die Bürgerkoalition in schwierigen Zeiten, auch wenn, wie Tusk einräumte, es sicher einigen Wählern nicht schnell genug gehe mit den Veränderungen im Land. Zehn Jahre habe man auf diesen „ersten Platz auf dem Podium“ gewartet. Noch bei der Kommunalwahl im April hatte es für einen Sieg über PiS nicht gereicht.
Am 13. Dezember hatte Tusk mit einer Koalition aus vier Parteien die Regierung in Warschau übernommen und versucht seither, vor allem das juristische Chaos, das PiS hinterlassen hat, zu bereinigen und die Gewaltenteilung wiederherzustellen. Bei der Parlamentswahl im Oktober war PiS stärkste Kraft geworden, verlor aber die Mehrheit. Tusks Koalition hat eine deutliche Parlamentsmehrheit.
Innenpolitische Vorlieben sind in allen drei Ländern entscheidend
Dieser Sieg ist auch ein persönlicher Sieg Tusks, der als früherer EU-Ratspräsident eindeutig für eine konstruktive Zusammenarbeit mit den EU-Partnern steht. Auch in der Slowakei gewannen Pro-Europäer, in Tschechien wurden vor allem antieuropäische Kräfte gewählt. Letztlich bestimmten in diesen drei Ländern innenpolitische Vorlieben die Europawahl. Besonders in Tschechien ist der Verdruss über die Mitte-rechts-Regierung von Petr Fiala zu erkennen, einem ausgesprochenen Ukraine-Unterstützer.
Ein weiterer polnischer Sieger ist die drittplatzierte Partei Konfederacja, eine rechtsextreme, teils faschistische und deutlich antidemokratische Formation. Sie konnte ihr Ergebnis im Vergleich zur Parlamentswahl auf mehr als zwölf Prozent beinahe verdoppeln. Konfederacja unterstützte unter anderem die Proteste der Bauern und Spediteure an der ukrainischen Grenze gegen Importe aus der Ukraine.
Tusks Partner sind unter den Verlierern
Eine Niederlage bedeutet die Europawahl aber für Tusks Koalitionspartner. Sie schnitten teils erheblich schlechter ab als im Herbst und verlieren Sitze im Europäischen Parlament. Das gilt auch für die langjährige Europaabgeordnete Róża Thun, die für die christliche Formation Polska 2050 wieder angetreten war. Aus Brüssel hatte sie immer wieder die Rechtsstaatsverstöße der rechtsnationalistischen PiS-Regierung angeprangert.
Auch aus persönlicher Betroffenheit setzte sich Róża Thun für die juristische Verfolgung von Hassreden ein. Im Februar sprach sie dazu im Plenum und zitierte eine Drohung, die sie erhalten hatte. In der stand: „Ich hoffe, dass wir Deutsche wie dich, Thun, ungestraft töten können, diese deutschen Verräter.“ So etwas stehe ungeahndet im Netz, beklagte Thun, die keine Deutsche ist, aber fließend Deutsch spricht.
Bekannt durch die Attacke auf einen Chanukka-Leuchter
Statt ihrer wird aus Polen nun etwa der Rechtsradikale Grzegorz Braun als einer von sechs Konfederacja-Abgeordneten ins Europaparlament einziehen. Er hatte bei der Amtsübernahme der Tusk-Regierung im Dezember im Abgeordnetenhaus Sejm einen Eklat ausgelöst, als er mit einem Feuerlöscher auf die gerade entzündeten Kerzen an einem Chanukka-Leuchter losging. Im vergangenen Herbst störte Braun eine Veranstaltung des Deutschen Historischen Instituts in Warschau.
Tusks Bürgerkoalition steuert 21 Abgeordnete zur größten Fraktion im Europaparlament bei, der Europäischen Volkspartei EVP. PiS erhält 20 Sitze, sie gehört bislang zur Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR). Insgesamt ist Polen mit 53 Sitzen vertreten.
Die Slowaken bieten eine Überraschung
Eine Überraschung brachte die Europawahl in der Slowakei. Motiviert, wählen zu gehen, waren in der Slowakei offenbar besonders die Anhänger der liberalen Progresívne Slovensko (PS), die mit 28 Prozent stärkste Partei wurde vor der Regierungspartei Smer mit 25 Prozent. Damit gewinnt die PS sechs der 15 slowakischen Sitze. Sie gehört bislang in Brüssel und Straßburg der Fraktion Renew an.
Fünf Sitze gehen an die Smer-Partei von Ministerpräsident Robert Fico, deren Umfragewerte nach dem Attentat auf Fico am 15. Mai gestiegen waren. Fico hatte sich drei Wochen nach der Tat per Video an die Bürger gewandt. Darin stellte er die Slowakei als einen Staat dar, der um seine Souveränität kämpfen müsse und von EU-Kommission, Nato sowie „größeren Demokratien“ angegriffen und geächtet werde, weil er eine eigene Meinung zum Ukraine-Krieg habe.
Zu den inneren Feinden zählt Fico die Oppositionspartei Progresívne Slovensko – deren Mitglieder werden im Smer-Wahlprogramm „Vaterlandsverräter“ genannt. Darin heißt es auch: „Wir lehnen den Versuch ab, die EU in eine Kriegsorganisation zu verwandeln.“ Einen weiteren Sitz erhält Ficos Koalitionspartner Hlas. Beide Parteien waren im Herbst von der Fraktion der Europäischen Sozialdemokraten ausgeschlossen worden, weil sie eine Regierung mit der rechtsnationalistischen SNS bilden, deren Mitglieder sich teils rassistisch, faschistisch und rechtsextrem äußern.
Die SNS schafft es nicht ins Europäische Parlament. Dafür die rechtsextreme Partei Republika, die drittstärkste Kraft wurde. Sie erhält zwar nur zwei Sitze, doch ihr Potenzial dürfte sich in Zusammenarbeit etwa mit der polnischen Konfederacja entfalten.
In Tschechien schaffte es ein Bündnis mit dem Namen „Schwur und Kraftfahrer“ auf den dritten Platz. Das Wahlbündnis kämpft für Verbrennermotoren, gegen den Euro, gegen den Green Deal und vor allem gegen Zuwanderung. Stärkste Kraft wurde die Partei ANO des früheren Ministerpräsidenten Andrej Babiš. Er führt heute die Opposition an. Die EU-Kommission sah den schwerreichen Geschäftsmann während seiner Zeit als Premier in einem Interessenkonflikt, weil seine Unternehmen EU-Subventionen erhalten. ANO erhält sieben der 21 tschechischen Sitze. Bislang gehörte ANO zur Fraktion Renew, aus der es aber schon länger Kritik an ANO gab. Sechs Sitze errang das konservative Wahlbündnis Spolu, dem Tschechiens Ministerpräsident Petr Fiala angehört. Die Sitze werden sich voraussichtlich auf verschiedene EP-Fraktionen aufteilen.