Europas Sozialdemokraten hätten Zeit gehabt bis zu ihrem Parteikongress im Dezember, sie hätten es ein bisschen spannend machen können. Doch eigentlich war seit Wochen schon klar, wer für die Parteienfamilie als Spitzenkandidat in die Europawahl ziehen würde: Frans Timmermans, 57, bisher Erster Vizepräsident der Europäischen Kommission und Stellvertreter von Jean-Claude Juncker. Nun ist er auch offiziell Kandidat, nachdem sich am Montag sein Kontrahent Maroš Šefčovič, ebenfalls Kommissionsvize, selbst aus dem Rennen genommen hat. Am Dienstag stellte sich der Niederländer der sozialdemokratischen S&D-Fraktion im Europäischen Parlament vor.
Die von den Fraktionen im EU-Parlament nominierten Spitzenkandidaten bewerben sich um die Nachfolge Junckers an der Spitze der Kommission, die eine Art Exekutive der EU bildet. Um den Job zu bekommen, müssen die Kandidaten aber von den Staats- und Regierungschefs der EU vorgeschlagen werden und eine Mehrheit im Parlament hinter sich bringen. Das könnte am ehesten einem Christdemokraten gelingen.
Den Sozialdemokraten hingegen wird bei der Europawahl ein schlechtes bis desaströses Ergebnis vorhergesagt. In Italien und Deutschland sind sie unter die 20-Prozent-Marke gerutscht, in Frankreich oder in Timmermans' Heimat liegen sie deutlich unter zehn Prozent. Ein echter Wettstreit, wie es ihn ansatzweise vor fünf Jahren gab, als der Sozialdemokrat Martin Schulz gegen Juncker antrat, wird sich deshalb wohl nicht inszenieren lassen. Stattdessen könnte sich Timmermans im Wahlkampf profilieren, um danach ein anderes hohes europäisches Amt zu übernehmen.
Timmermans: Es gehe "um die Seele Europas"
Die Europawahl im Mai sei die wichtigste seit 1979, als die Direktwahl der Abgeordneten eingeführt wurde, sagte Timmermans. Es gehe "um die Seele Europas". Der Kontinent laufe Gefahr, in zwei Hälften geteilt zu werden: in jene, die an der europäischen Einigung festhielten, und jene, die "alles auf eigene Faust entscheiden wollen". So ließen sich die sozialen, ökonomischen und ökologischen Probleme in der EU nicht bekämpfen. Vielmehr sei diese Teilung im Interesse von Politikern wie Wladimir Putin und Donald Trump.
Timmermans warnte davor, Europas Sozialdemokraten schon abzuschreiben. Pedro Sánchez in Spanien und António Costa in Portugal hätten in kurzer Zeit radikale Änderungen bewirkt: "Manchmal braucht es wenig, um eine Gesellschaft wieder Richtung Hoffnung und Solidarität zu lenken."
Der frühere niederländische Diplomat und Außenminister gilt als überzeugter Europäer. In der Kommission ist er unter anderem zuständig für Nachhaltigkeit und Rechtsstaatlichkeit. Deshalb ging er gegen Polen vor, wegen der möglichen Gefährdung von EU-Grundwerten durch den Umbau der Justiz.