Europawahl in Deutschland:Vom Vorbild zum Muffel

Mangels an europapolitischem Krawall: Wenn es um die EU geht, zieht es die Deutschen kaum noch an die Urne - offenbar fehlt ihnen die Spannung.

Roland Preuß

Die Blondine auf dem Video kreischt, als wäre ein Rudel Jagdhunde hinter ihr her, sie stürmt das Wahllokal, wählt und tobt davon. Die Slapstick-Szene ist das beliebteste von mehreren Werbefilmchen, mit denen das EU-Parlament europaweit auf die Abstimmung am 7. Juni aufmerksam machen will. Die Straßburger haben dafür sogar eine eigene Seite im Video-Portal Youtube eingerichtet. Wer genau hinschaut, sieht auf ihrem Pass: Die derangierte Dame kommt aus Berlin - die EU lässt ausgerechnet eine Deutsche in Wahl-Begeisterung ausbrechen.

Europawahl in Deutschland: Grundkurs über die Vorteile des europäischen Projekts: Angela Merkel beim Wahlkampfauftakt der CDU am Montag Wolfsburg.

Grundkurs über die Vorteile des europäischen Projekts: Angela Merkel beim Wahlkampfauftakt der CDU am Montag Wolfsburg.

(Foto: Foto: ddp)

Damit hat sie die richtige Zielgruppe getroffen. Denn die Deutschen, die die meisten Wahlberechtigten unter den EU-Staaten stellen, sind von Vorbildern in Sachen Beteiligung zu ausgesprochenen Wahlmuffeln geworden. Bei der ersten direkten Europawahl vor 30 Jahren hatten sich noch fast zwei Drittel an die Urnen bemüht - deutlich mehr als der europäische Durchschnitt.

Vor fünf Jahren waren es dann nur noch 43 Prozent und damit gut zwei Prozent weniger als die übrigen EU-Bürger. Und dieses Mal ist kaum Besserung in Sicht. Von einem heißen Wahlkampf in Deutschland kann nicht die Rede sein, griffige Themen fehlen ebenso wie große Kontroversen über die Richtung der EU.

"Gemeinsam sind wir stärker"

Die Wahlkampfreden von Angela Merkel am Montag in Dessau und Wolfsburg illustrieren gut die Lage. Die CDU-Vorsitzende lobte die EU als großes Ganzes. "Gemeinsam sind wir stärker, als wenn jeder allein vor sich hin wurstelt", sagte sie in einer Art Grundkurs über die Vorteile des europäischen Projekts.

Als einzig konkreten Streitpunkt sprach sie das VW-Gesetz an, das dem Land Niedersachsen Sonderrechte bei dem Autokonzern sichert. Die EU-Kommission will das Gesetz abschaffen, Merkel dagegen forderte Respekt für diese nationale Besonderheit. Doch daran lässt sich kein Streit in Deutschland entzünden: SPD, Grüne und Linkspartei wollen das VW-Gesetz ebenso verteidigen.

Angesichts dieses Mangels an europapolitischem Krawall muss es schon als positives Indiz gelten, wenn ein Bundesbürger den 7. Juni überhaupt im Kalender stehen hat. Bei der jüngsten Umfrage der EU-Kommission vom Frühjahr wussten gerade einmal 44 Prozent der Deutschen, dass dieses Jahr eine Europawahl ansteht. Nachdem sie der Interviewer über den Wahltermin aufgeklärt hatte, gaben nur 38 Prozent an, sie würden sicher wählen gehen - 13 Prozent dagegen lehnten eine Teilnahme definitiv ab.

Nationale Themen dominieren

Die Apathie ist umso bemerkenswerter, als das Europaparlament seit seiner ersten Wahl 1979 immer mehr Macht gewonnen hat und durch den Lissabonner Vertrag noch mehr Befugnisse erhalten soll. Christina Holtz-Bacha von der Uni Erlangen Nürnberg kann das Desinteresse dennoch nachvollziehen. "Die Leute wissen, dass mit ihrer Stimme trotz des Machtzuwachses in Straßburg nicht wirklich etwas entschieden wird", sagt die Kommunikationswissenschaftlerin.

Der Mainzer Politologe Jürgen Falter vergleicht das Europaparlament gar mit dem Deutschen Reichstag von 1871. Wie dieser könne Straßburg weder voll über Gesetze bestimmen noch EU-Vertreter wählen. Damit aber fehlt ein Element, das viele Wähler bei nationalen oder kommunalen Wahlen anzieht: der Kampf von Personen um herausragende Ämter wie Kanzler oder Bürgermeister. "Es fehlt die Regierungsbildung und damit ein wichtiges Stück Spannung", sagt Holtz-Bacha.

Stattdessen dominieren nationale Themen, diesmal Steuerentlastungen und Wirtschaftskrise, über die vor allem die große Koalition in Berlin entscheidet. Bei dieser Lage wird die Europa-Hysterie im Youtube-Video auch diesmal eine Straßburger Wunschvorstellung bleiben.

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