Europawahl in den Niederlanden:Geert Wilders verzockt sich

Gekämpft "wie die Löwen" und trotzdem verloren: Die Rechtspopulisten von Geert Wilders werden in den Niederlanden Prognosen zufolge nur viertstärkste Kraft. Ein Signal für den Rest von Europa? Dafür spricht nicht viel - zumindest in Großbritannien triumphieren die Euro-Gegner schon.

Von Matthias Kolb

Drei Stunden lang ließ sich Geert Wilders Zeit, ehe er eine halbe Stunde vor Mitternacht doch noch ans Mikrofon trat. Die frustrierten Anhänger der rechtspopulistischen "Partei für die Freiheit" (PVV) brauchten Aufmunterung. Sie alle hätten "wie die Löwen" gekämpft, aber leider sei das Ergebnis nun "enttäuschend", rief der Parteivorsitzende. Lediglich 12,2 Prozent der Niederländer haben der PVV ersten Prognosen zufolge bei der Europawahl ihre Stimme gegeben - knapp fünf Prozent weniger als 2009.

Die Niederländer als Europa-Freunde? Das wäre für Wilders, der die EU und den Euro ablehnt, eine schlechte Nachricht. Und so beeilte er sich vorzurechnen: "65 Prozent der PVV-Anhänger sind leider nicht zur Wahl gegangen." Die Wahlbeteiligung von etwa 37 Prozent sei schuld: "Zwei von drei Holländern sind zu Hause geblieben."

Dieser Argumentation läuft zuwider, dass an der Europawahl 2009 noch weniger Niederländer teilgenommen hatten - und die PVV damals etwa 17 Prozent bekam. Für Friso Wielenga, den Direktor des Zentrums für Niederlande-Studien an der Universität Münster, hat das überraschend schlechte Abschneiden der "Partei für die Freiheit" mehrere Gründe. Zwar seien viele PVV-Wähler durch Wilders' fremdenfeindliche Sprüche nicht abgeschreckt worden - er hatte seinen Anhängern etwa zugerufen: "Wollt ihr weniger Marokkaner?" Allerdings sorgte die anschließende, turbulent geführte Debatte unter den Abgeordneten und in der Führungsspitze der Partei für erhebliche Unruhe, was auch den Wahlkampf beeinflusste.

"Es fällt Wilders immer schwerer, seinen Laden zusammenzuhalten", analysiert Wielenga. So sorgte jüngst ein umstrittenes Buchmanuskript von Martin Bosma für Aufsehen, dessen Publikation Wilders verhindern wollte. Darin bezeichnete Bosma, der als Wilders' "Gehirn" gilt, etwa Südafrikas Nationalheld Nelson Mandela als "kommunistischen Anführer".

Bündnis mit Front National dürfte Stimmen gekostet haben

Auch die Allianz, die Wilders mit Marine Le Pen vom rechtsextremen Front National (FN) geschlossen hat, kam nicht so gut an wie erhofft. Dass FN-Gründer Jean-Marie Le Pen am Vortag der holländischen Europawahl den Vorschlag machte, die "Bevölkerungsexplosion" in vielen Teilen der Welt mit dem Ebola-Virus zu bekämpfen, zwang Wilders zu einer Distanzierung. "Da wird bei vielen der Eindruck entstanden sein, dass Wilders mit diesem Bündnis zu weit gegangen ist", sagt Wielenga.

Der Professor der Uni Münster betont, dass die Rechtspopulisten bereits bei der Kommunalwahl im März 2014 verloren hatten - dieser Trend setzte sich fort. Der voraussichtliche Wahlsieger, die liberalen "Democraten 66" (D66), seien für ihre pro-europäische Positionierung belohnt worden. Dass keine Gruppierung mehr als 15,6 Prozent der Stimmen erhielt, zeigt die Zersplitterung des holländischen Parteiensystems.

Vor einem Abgesang auf Wilders hüten sich die niederländischen Medien - der angebliche "Anfang vom Ende" seiner Polit-Karriere wurde zu oft beschworen. Wielenga bilanziert: "Für ihn wird es so schwierig wie nie zuvor."

In ganz Europa rechnen Experten und Meinungsforscher damit, dass Rechtsextreme und Anti-Europa-Populisten bei der Europawahl zulegen werden. Ob das überraschend dürftige Ergebnis der PVV Auswirkungen auf andere EU-Staaten haben könnte, ist jedoch schwer zu prognostizieren.

In Frankreich liegt der Front National mit seiner Chefin Marine Le Pen in Umfragen weit vorn: Mitte Mai sagten 25 Prozent der Befragten, dass sie bei der Europawahl für den FN stimmen wollten, während die konservative UMP nur auf 21 Prozent kommt. Für die Sozialisten können sich dieser Erhebung zufolge nur 18 Prozent begeistern - Präsident François Hollande droht also ein weiteres Desaster.

Welche Chancen Europas Populisten haben - und warum Nigel Farage triumphiert

Party Leaders Vote In European and Local Elections

Wie immer gut gelaunt: UKIP-Chef Nigel Farage bei der Stimmabgabe zur Kommunal- und Europawahl.

(Foto: Getty Images)

Das Europawahl-Ergebnis in Großbritannien wird durch die Abstimmungen in den Niederlanden wohl nicht beeinflusst werden. Dort wurde ebenfalls bereits am Donnerstag abgestimmt. Allerdings werden die Stimmen erst am Sonntag ausgezählt - und es ist unter Strafe verboten, Prognosen zu veröffentlichen.

Nigel Farage, der Ukip-Vorsitzende, möchte Großbritannien am liebsten aus der EU herausführen. Er hat am Wahltag ein "Erdbeben" versprochen und viel spricht dafür, dass er recht behalten dürfte.

Am Donnerstag fanden in Großbritannien - gleichzeitig zur Europawahl - Kommunalwahlen statt, bei denen die Anti-Europa-Partei Ukip deutlich zulegen konnte. Die United Kingdom Independence Party, deren Vertreter gern gegen Einwanderer aus Osteuropa wettern, eroberte nach Auszählung der Stimmen aus mehr als einem Drittel der Gemeinden 91 Mandate hinzu (Stand: Freitagnachmittag), die Oppositionspartei Labour allerdings sogar 132.

Dem Guardian zufolge deuten die bisherigen Ergebnisse darauf hin, dass sich Ukip bei der Europawahl ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Labour um Platz 1 liefern dürfte. Beide dürften etwa 30 Prozent der Stimmen erhalten.

Noch mehr Probleme für David Cameron

Ein gutes Abschneiden von Ukip bei der Europawahl würde vor allem Premier David Cameron unter Druck setzen - dessen Partei verzeichnet bei der Kommunalwahl deutliche Verluste. Je erfolgreicher Farage und seine Partei werden, umso wahrscheinlicher wird eine Zersplitterung der konservativen Wählerschaft bei den britischen Parlamentswahlen 2015.

Cameron hat für den Fall seiner Wiederwahl als Premier für das Jahr 2017 eine Volksabstimmung über die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens angekündigt. Es erscheint aber äußerst fraglich, ob sein Plan, auf diese Weise Ukip-Anhänger an die Konservativen zu binden, erfolgreich sein wird. Nigel Farage, der für seine Sprüche und sein breites Grinsen bekannt ist, kommentierte die Teilergebnisse gewohnt spöttisch: Seine Partei sei nun der Fuchs im Hühnerstall des britischen Parlaments.

Mit Spannung wird auch das Ergebnis von anderen Anti-Europa-Populisten erwartet: In Österreich kämpft die FPÖ um einen Spitzenplatz in der Wählergunst und in Italien könnte Beppe Grillo mit seiner "Fünf-Sterne-Bewegung" Umfragen zufolge zwischen 20 und 25 Prozent der Stimmen erhalten. Das Ergebnis wird zeigen, wie groß das Vertrauen der Italiener in ihren neuen Premier Matteo Renzi wirklich ist.

In Deutschland dürften Europa-Freunde und Euroskeptiker vor allem auf eine Zahl achten: Erreicht die euroskeptische Alternative für Deutschland (AfD) mehr oder weniger als jene sieben Prozent, die ihr in den jüngsten Umfragen vorhergesagt wurden?

Erst wenn im Laufe des Sonntagabends klar ist, wie stark die europaskeptische Fraktion im neuen Europa-Parlament sein wird, kann beurteilt werden, ob jener anti-europäische "Erdrutsch", den Geert Wilders vor einigen Monaten vollmundig vorhergesagt hat, wirklich ausgeblieben ist.

Linktipps:

Alle Artikel von Süddeutscher Zeitung und SZ.de zur Europawahl finden Sie auf dieser Seite.

Wilders, Le Pen, Farage: SZ-Korrespondenten haben für diesen Übersichtstext Porträts der wichtigsten Europaskeptiker verfasst.

Was Anti-Europa-Populisten wie Geert Wilders antreibt, analysiert Kathrin Haimerl in diesem Text.

Wie sich die Europaskeptiker im Internet präsentieren und inwieweit sie den nationalen Diskurs in ihren Heimatländern prägen, analysiert eine Studie der Bertelsmann-Stiftung.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: