Europawahl:Weber und Timmermans dürfen nicht übergangen werden

Europawahl: Was man auch von den Spitzenkandidaten Weber und Timmermans hält, es wäre fatal, sie zu übergehen.

Was man auch von den Spitzenkandidaten Weber und Timmermans hält, es wäre fatal, sie zu übergehen.

(Foto: AFP)

Der Sieger der Europawahl sollte neuer Kommissionschef werden. Andernfalls machen die Staats- und Regierungschefs das EU-Parlament lächerlich. Das wäre fatal.

Kommentar von Stefan Ulrich

Wer spektakuläre Fernsehduelle der jüngeren Zeit im Hinterkopf hatte - Donald Trump gegen Hillary Clinton, Marine Le Pen gegen Emmanuel Macron -, der konnte erleichtert und enttäuscht sein über den TV-Zweikampf, den sich Manfred Weber und Frans Timmermans am Dienstagabend lieferten. Erleichtert, weil die Spitzenkandidaten der Europäischen Volkspartei (EVP) und der Sozialdemokraten für die Europawahl Ende Mai respektvoll miteinander umgingen. Enttäuscht, weil es an Dramatik und Spannung fehlte. Zu nahe waren sich die beiden in ihrer grundsätzlich europafreundlichen Haltung. Wobei das natürlich eigentlich ein Segen ist.

Das eher blutarme Duell wird die Zweifel verstärken, ob die Idee mit den Spitzenkandidaten taugt. Nach dem Willen des EU-Parlaments soll der Spitzenkandidat der siegreichen Partei Kommissionspräsident werden, also eine Art europäischer Regierungschef. Viele nationale Regierungen, darunter die französische und die deutsche, möchten dagegen, dass die Staats- und Regierungschefs dem Parlament auch jemand anderen zum Kommissionspräsidenten vorschlagen können. Vor fünf Jahren setzte sich das Parlament durch. Jean-Claude Juncker von der siegreichen EVP wurde Kommissionschef. Jetzt beginnt das Kräftemessen von Rat und Parlament erneut.

Unabhängig davon, was man von Weber und Timmermans als Spitzenkandidaten hält, wäre es fatal, sie nun zu übergehen. Das EU-Parlament und seine Parteien würden dadurch vor den Bürgern lächerlich gemacht und vom Rat gedemütigt. Viele Menschen würden sich fragen, warum sie für Europa wählen sollten, wenn die Staats- und Regierungschefs den Sieger ignorieren. Wer die Demokratie in Europa stärken will, der muss das Europaparlament und damit indirekt die Wähler darüber entscheiden lassen, wer Kommissionspräsident wird.

Und die Demokratie muss gestärkt werden in der EU. Erstens, weil nur so Europamüdigkeit und Europafrust überwunden werden können. Viele Menschen haben, mal zu Recht, mal zu Unrecht, den Eindruck, in Brüssel würden Entscheidungen von diversen Räten hinter verschlossenen Türen ausgemauschelt. Sie fremdeln mit Europa, weil ihnen dessen politisches System nicht vertraut ist. Nur wenn die Kompetenzen in der EU klar verteilt werden und das Europaparlament zum vollwertigen Parlament wird, kann diese Vertrautheit entstehen.

Die Stärkung des Parlaments ist zweitens nötig, weil die Staats- und Regierungschefs in der heutigen EU immer schwerer zu Entscheidungen kommen. Der Dauerstreit um Flüchtlinge und Asyl ist nur ein Beispiel dafür. Will dieses Europa der vielen Staaten handlungsfähig bleiben, muss das Parlament ins Zentrum rücken. Hier lässt sich Streit offen ausfechten, hier lassen sich Konflikte nach demokratischen Regeln entscheiden.

Drittens, und dieser Punkt ist für Deutschland besonders wichtig, hat die EU inzwischen so viele Kompetenzen, dass sie zum staatsähnlichen Gebilde geworden ist. Die Schwelle zum Bundesstaat ist bald überschritten. Das Bundesverfassungsgericht bestimmt jedoch, Deutschland dürfe nur dann Teil eines europäischen Bundesstaates werden, wenn dort das Demokratieprinzip gilt. Die Kür des bei der Wahl siegreichen Spitzenkandidaten zum Kommissionschef ist ein wichtiger Schritt dorthin.

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Wer die Demokratie in Europa stärken will, muss das Europaparlament und damit indirekt die Wähler darüber entscheiden lassen, wer Kommissionspräsident wird, kommentiert SZ-Autor Stefan Ulrich.

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