EU-ParlamentWen wird die Jugend wählen?

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„Sehr hohe Zustimmung zur Demokratie, aber auch zu Europa“: 1,4 Millionen 16- bis 18-Jährige können bei der Europawahl abstimmen.
„Sehr hohe Zustimmung zur Demokratie, aber auch zu Europa“: 1,4 Millionen 16- bis 18-Jährige können bei der Europawahl abstimmen. (Foto: picture alliance/dpa)

Bei der Europawahl dürfen in Deutschland erstmals auch 16-Jährige ihre Stimme abgeben. Fachleute untersuchen, wie junge Menschen auf die EU blicken – und gehen der Frage nach, wieso überraschend viele offenbar zur AfD neigen.

Von Celine Chorus, Berlin

Es ist eine Premiere: Bis zu 64,9 Millionen Menschen können in Deutschland am 9. Juni das nächste EU-Parlament wählen – und erstmals dürfen auch 16-Jährige ihre Stimme abgeben. Das sind rund 1,4 Millionen junge Menschen mehr als bisher, die über die Verhältnisse im EU-Parlament entscheiden werden. Nur in vier anderen Mitgliedsstaaten – Österreich, Belgien, Griechenland und Malta – dürfen Minderjährige ebenfalls wählen. Was nun bewegt die Jugendlichen – und wie stehen sie zur EU?

Der Politikwissenschaftler Thorsten Faas von der FU Berlin hat bei jungen Wählern eine „sehr hohe Zustimmung zur Demokratie, aber auch zu Europa“ beobachtet. Faas hat die Studie „Junges Europa“ wissenschaftlich begleitet, die vergangene Woche in Berlin vorgestellt wurde. Dafür hat das Meinungsforschungsinstitut Yougov knapp 6000 Menschen zwischen 16 und 26 Jahren in Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien, Griechenland und Polen befragt. Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass mehr als die Hälfte der jungen Europäer die Mitgliedschaft ihres Landes in der EU für eine gute Sache hält. Aber: Nur knapp ein Fünftel fühlt sich durch das Parlament des eigenen Landes und durch das EU-Parlament auch repräsentiert. „In Bezug auf Akteure, Prozesse und Inhalte sehen junge Menschen durchaus Defizite und fühlen sich nicht allzu gut vertreten“, sagt Faas.

Je älter die Menschen sind, desto höher ist ihre Bereitschaft zu wählen

Auch wird dem EU-Parlament von Jugendlichen wenig Macht zugeschrieben. Deshalb halten sie die Europawahlen für weniger relevant als nationale Wahlen. Trotzdem haben in einer Eurobarometer-Umfrage 64 Prozent der jungen Menschen zwischen 15 und 30 Jahren angegeben, am 9. Juni wählen zu wollen.

Laut Faas besteht grundsätzlich ein enger Zusammenhang zwischen dem Alter und der politischen Beteiligung. Es gelte der Grundsatz: Je älter die Menschen sind, desto höher ist ihre Bereitschaft zu wählen. Allerdings müsse man bei den jungen Wählern genauer hinschauen, betont Faas: „Erstwähler haben in der Regel eine höhere Beteiligung als junge Menschen Anfang 20.“ In dieser Gruppe sei zumeist die niedrigste Wahlbeteiligung zu beobachten.

Die Corona-Pandemie habe bei vielen Jugendlichen zu einer starken Verunsicherung beigetragen, auch mit Blick auf die eigene Zukunft, sagt der Politikwissenschaftler Martin Koch von der Universität Bielefeld. Zu den Themen, die sie momentan umtrieben, gehörten etwa „die Angst vor einem Krieg und einer Spaltung der Gesellschaft, aber auch Fragen nach sozialer Gerechtigkeit“.

Während die jüngste Europawahl als „Klimawahl“ galt und von umweltpolitischen Themen geprägt war, werde in diesem Jahr die Migration als drängendstes Problem auf europäischer Ebene angesehen. Nicht wenige beurteilten die gegenwärtige Zuwanderung skeptisch, so Faas: „Und das hat natürlich auch Konsequenzen dafür, welche Parteien als kompetent gelten und damit mit höherer Wahrscheinlichkeit gewählt werden.“

Das zeigt die Studie „Jugend in Deutschland 2024“, für die rund 2000 Menschen zwischen 14 und 29 Jahren befragt wurden. Sie kam Ende April zu dem Schluss, dass die AfD bei jungen Menschen mit 22 Prozent am meisten Zuspruch bekäme. Dahinter folgten die CDU/CSU mit 20 Prozent, die Grünen mit 18 Prozent und die SPD mit zwölf Prozent. In einer Forsa-Umfrage Anfang Mai lagen zwar Grüne und Union vorn, aber 14 Prozent der unter 30-Jährigen würden demnach AfD wählen – mehr, als für die SPD stimmen würden. Eine Erklärung sieht Koch in der starken Präsenz der AfD in den sozialen Medien: „Keine andere Partei ist dort so aktiv und auch so erfolgreich darin, für sich und die eigenen Themen zu werben und andere Parteien in Verruf zu bringen.“

Junge Menschen hegen Wahlen gegenüber höhere Erwartungen als ältere

Ist bei den jungen Wählern also ein Aufstieg rechtspopulistischer Parteien zu erwarten? Nach einer Studie der Universität Mannheim ist die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre zumindest keine Garantie für eine breitere Unterstützung demokratischer Parteien. So scheinen junge Menschen höhere Erwartungen an die Folgen ihres Wahlakts zu haben, sodass sich positive oder negative Erfahrungen eher auf ihre zukünftige Einstellung zur Demokratie auswirken. Führt eine Enttäuschung bei manchen dazu, später Populisten zu wählen? Die Wahrscheinlichkeit, dass Zweitwähler für eine populistische Partei stimmen, ist im Durchschnitt jedenfalls elf Prozent höher als bei Jugendlichen, die zum ersten Mal wählen.

In ihren Präferenzen seien junge Menschen aber meist offener und weniger festgelegt, erklärt Faas: „Sie reagieren stärker als ältere Menschen auf die situativen Einflüsse rund um eine Wahl.“ Das bedeute jedoch nicht, dass Jugendliche hinsichtlich ihrer politischen Reife jungen Erwachsenen unterlegen wären. Faas hat herausgefunden, dass sich das politische Interesse von 16- und 18-Jährigen nicht merklich unterscheidet. Im Durchschnitt sind beide Gruppen auch gleichermaßen informiert. Um sich die Stimmen der Minderjährigen zu sichern, müssten die Parteien ihnen also vor allem eines bieten: inhaltliche Orientierung.

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