Profil:Sayen Ramirez

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Sayen Ramirez, Gewinnerin des Rednerwettbewerbs "Europe16". (Foto: Janis Wetzel/Janis Wetzel)

Erstmals dürfen bei der Europawahl auch 16-Jährige wählen. Eine davon ist eine Schülerin aus Hamburg, die mit ihrem Redetalent auch politische Größen beeindruckt.

Von Georg Ismar

Es wirkt, als sei die große Bühne ihr Zuhause, als mache sie das seit Jahren. Statt in der elften Klasse eines Hamburger Gymnasiums auf der Schulbank zu sitzen. Sayen Ramirez wiederholt gleich zweimal in der Arena Berlin die Zahl von 16,3 Prozent. So einen Anstieg habe es zuletzt bei Gewalttaten gegen Menschen mit Migrationsgeschichte in Deutschland gegeben. Ganz in Schwarz gekleidet gestikuliert sie vor rund 500 Besuchern des "EuroJam", geht auf der kreisförmigen Bühne umher, spricht dabei komplett frei.

Es ist ein vierminütiger Appell, bei der Europawahl wählen zu gehen, um zu verhindern, dass Parteien wie die AfD an Zuspruch gewinnen, die eine sogenannte Remigration wollen, die auch Sayen Ramirez treffen würde. Das sei eine Partei, "die mich nicht mehr in diesem Land, nicht mehr auf diesem Kontinent haben möchte". Ramirez' Vater kommt aus Chile, geflohen vor der Pinochet-Diktatur, ihre Mutter aus Ecuador.

Junge Stimmen für Europa

Sie ist eine der drei Gewinnerinnen des Redner-Wettbewerbers "Europe16", den der Verein "Tu was für Europa" unter Patenschaft von Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) und dem Schauspieler Helge Mark Lodder ausgerichtet hat. Damit hatte sie sich für diesen Auftritt qualifiziert. Sie erinnert an den Rechtsruck in anderen Ländern wie Ungarn und Italien, das Schüren von Ressentiments. Man habe eine "Mitverantwortung dafür, wie es mit Europa weitergeht". Im Publikum sitzt auch Martin Schulz, Vorsitzender des überparteilichen und gemeinnützigen Vereins, der neue Formen der Europadebatten auch für junge Leute schaffen will, und noch viel andere politische Prominenz.

Der SPD-Politiker Schulz, langjähriger Präsident des Europaparlaments, sagt, Ramirez und ihre Mitstreiterinnen seien die eigentlichen Stars des Abends gewesen. Ihr Appell an die Älteren - wählt, und wählt mit Blick auf die Entscheidungen für sie, die jüngere Generation -, dieser Appell "ist bei allen hier angekommen". Aus seiner Sicht zeige sich hier, wie klug und reif viele in dieser Generation schon seien. Es sei eine große Chance, sie durch das Europawahlrecht früher in die Demokratie einbinden zu können.

Es wird für Ramirez ihre erste Wahl, bei der Europawahl am 9. Juni dürfen erstmals auch 16-Jährige wählen. Das führt dazu, dass allein in Deutschland mehr als eine Million Jugendliche zusätzlich wählen dürfen. Sie habe sich extrem gefreut über die erste Wahlbenachrichtigung ihres Lebens, sagt sie. Wählen darf sie in Hamburg-Barmbek in ihrer früheren Grundschule. Briefwahl kommt nicht infrage. "Ich gehe natürlich ins Wahllokal, der Moment muss sein." Ramirez ist bereits mit 14 Jahren bei der Grünen Jugend eingestiegen und sitzt mit 16 im Beirat der Heinrich-Böll-Stiftung.

Engagement vor Karriere

Sie hat immer wieder selbst Rassismuserfahrungen im Alltag gemacht, Anfeindungen, Ausgrenzung. Sie wolle einem Ohnmachtsgefühl etwas entgegensetzen, der Rechtsruck in Europa treibt sie sehr um, sie kämpfe dafür, dass das Europa, in dem wir jetzt leben, so erhalten bleibe. "Ich halte es für total gefährlich, dass jeder Zweite unter 30 überlegt, nicht wählen zu gehen", meint Ramirez.

Sie hat ihre eigene Politisierung im Bundestagswahlkampf 2021 erlebt, auch Begegnungen mit Obdachlosen, die in der U-Bahn betteln, ließen sie nicht los, ließen den Wunsch reifen, etwas zu tun. Vor allem die Themen Demokratie, Freiheit, Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit sind ihr wichtig. Ihr großer Wunsch? "Dass sich junge Menschen bitte engagieren sollen, und bitte zur Wahl gehen." Sie selbst will erst einmal ihr Abi machen, dann vielleicht ein freiwilliges Jahr in Südamerika, dann studieren. Oder will sie direkt in die Politik? Da gebe es keine Pläne, sagt Ramirez. "Mir ist das Engagement wichtig, nicht die Karriere."

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