Süddeutsche Zeitung

Europawahl:Ein grün-gelber Nukleus

Grüne und FDP sind sich spinnefeind. Wenn Bewegung in die Politik kommen soll, müssen die kleinen Parteien ihre Abneigung überwinden.

Peter Fahrenholz

Man kann unterschiedliche Wahlen nur schlecht miteinander vergleichen. Dennoch liefern die Europawahl und die Kommunalwahlen, die in sieben Bundesländern stattgefunden haben, einen wichtigen gemeinsamen Befund: Vor allem in den großen Städten sind die Wähler in Bewegung geraten, und es ist eine Bewegung weg von den großen Parteien.

Eine Bewegung, die auf der großen politischen Bühne keine Konsequenzen hat, weil sie quer zu den beiden Lagern verläuft. Denn die beiden Profiteure, die Grünen und die FDP, wollen noch immer nichts miteinander zu tun haben und verkennen dabei, wie groß die Schnittmenge ihrer Wähler inzwischen ist.

Die Grünen, deren Domäne die Städte schon immer waren, sind dort längst dem links-alternativen Milieu entwachsen, dem sie die Erfolge der ersten Jahre verdanken. Wer in einer konservativen Stadt wie Stuttgart bei einer Kommunalwahl mit der CDU fast gleichauf liegt, schafft das nicht mit einer Mischung aus umweltbewegten Studenten und Alt-68ern. Sondern der ist weit in die traditionellen bürgerlichen Wählerschichten eingedrungen.

Zurück ins städtische Milieu

In München beispielsweise sind die Grünen bei der Europawahl in sechs Stadtbezirken stärkste Partei geworden, mit Prozentsätzen zwischen 25 und 35 Prozent. Es sind innerstädtische Bezirke, in denen vor allem die gutverdienende, gebildete, politisch interessierte Mittelschicht lebt. Dort sind die Grünen zu einer Volkspartei geworden.

In dieses städtisch-aufgeklärte Milieu ist aber auch die FDP zurückgekehrt. Lange Jahre haben die Liberalen sich nie gefragt, warum sie in den Städten so viel schlechter abgeschnitten haben als die Grünen, vor allem in Städten mit Universitäten, obwohl dort doch die klassische liberale Klientel zu Hause ist. Mittlerweile findet die FDP in diesen Kreisen wieder mehr Anklang.

Die Wählerschichten, die Grüne und FDP in den Städten ansprechen, trennen keine Welten. Im Gegenteil, sie pflegen oft den gleichen Lebensstil: Man verreist gerne, schickt seine Kinder in gute Schulen, ernährt sich gut und teuer, lebt in Maßen umweltbewusst, ist kulturell und gesellschaftlich interessiert.

Stupides Lagerdenken

Vor allem aber sind es Wähler, die den Glauben an den Staat als ordnende und beschützende Instanz verloren haben - so, wie er von den beiden (Noch-)Volksparteien verkörpert wird, die sich in ihren Lösungsansätzen in den Jahren der großen Koalition immer ähnlicher geworden sind. Es sind Wähler, die sich von der Politik nicht eine Lösung für alle und für alles wünschen, sondern einen Rahmen, der Spielraum lässt für flexible Lösungen.

Doch warum erwächst daraus kein gemeinsames Projekt, mit dem Wählermilieus zusammengebracht werden, die ziemlich ähnlich ticken? Die beiden kleinen Parteien verharren in ihrem stupiden Lagerdenken und betonen stets nur die Unterschiede (die es natürlich gibt). Grüne und FDP sind sich weiterhin spinnefeind.

Eine Jamaika-Koalition zusammen mit Union und FDP hat der Parteitag der Grünen vor wenigen Wochen kategorisch ausgeschlossen, eine Ampel-Koalition würde nur unter großen Bauchschmerzen zustande kommen. Und für die FDP hat ihr Generalsekretär Dirk Niebel eben erst wieder phantasielos getönt, für seine Partei komme nur Schwarz-Gelb in Frage.

Hamburg als Wegweiser

Wie schwer der Ausbruch aus dem traditionellen Lagerdenken ist, zeigt das Europa-Wahlergebnis in Hamburg. Dort wurden die Grünen für den schwarz-grünen Tabubruch entgegen dem Bundestrend abgestraft und auch die CDU verlor überdurchschnittlich.

Wenn wirklich Bewegung in die deutsche Politik geraten soll, müssen FDP und Grüne ihre gegenseitige Abneigung überwinden. Weder eine erneute große Koalition noch die Neuauflage der Ära Kohl in einem schwarz-gelben Bündnis versprechen die notwendige Dynamik. Eine Regierung, deren Nukleus grün-gelb wäre, könnte es vielleicht.

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SZ vom 9.06.2009/mikö
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