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Europawahl:"Großbritannien ist heute wie Game of Thrones auf Steroiden"

Bei der einzigen Debatte aller europaweiten Spitzenkandidaten wird der Brexit zum abschreckenden Beispiel für den Kontinent erklärt. Emotional macht die EU-Politiker aber ein anderes Thema.

Von Leila Al-Serori, Brüssel

Der Brexit sei doch der lebende Beweis, entrüstet sich Frans Timmermans. Man habe die Nationalisten viel zu lange walten lassen und "viele unserer Wähler an die Rechten verloren", sagt der niederländische Sozialdemokrat auf der Bühne des Europaparlaments. Mit welchem Resultat? "Großbritannien ist heute wie Game of Thrones auf Steroiden."

Es ist Wahlkampf für die Europawahlen von 23. bis 26. Mai und bei der Debatte aller europaweiten Spitzenkandidaten gilt es offenbar, noch mal alles zu geben. Im Herbst muss ein Nachfolger für EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gefunden sein. Wer ihm nachfolgt, soll sich auch an diesem Abend mitentscheiden. Denn wenn es nach den europäischen Parteienfamilien gehen soll, dann kann nur jemand Chef der Kommission werden, der auch als europaweiter Spitzenkandidat angetreten ist. Also nur konsequent, dass die einzige Debatte in diesem Wahlkampf mit wirklich allen sechs Spitzenkandidaten auch genau dort stattfindet, wo die Idee geboren wurde: im Europaparlament.

Das Plenum in Brüssel hat sich dafür besonders herausgeputzt und in ein riesiges Fernsehstudio verwandelt. Mit Platzanweisern im Frack, die Zuschauer und Presse zu den Sitzen geleiten, mit blauen Lichteffekten und dramatischen Musikeinlagen.

Mehr als 50 Fernsehsender strahlten die Diskussion mit Manfred Weber (EVP), Frans Timmermans (SPE), Jan Zahradil (AKRE), Margrethe Vestager (ALDE), Ska Keller (EGP) und Nico Cué (EL) europaweit aus. In Deutschland allerdings nur Phoenix. Das mag wohl daran liegen, dass an diesem Donnerstag schon das nächste Wahl-Duell ansteht, aber auch daran, dass das Konzept der europaweiten Spitzenkandidaten bisher nicht ganz aufgeht - und in den vergangenen Wochen weiter Schaden genommen hat.

Da sind zum einen Staatschefs, allen voran Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, die den bisher aussichtsreichsten Kandidaten, Manfred Weber, zu verhindern versuchen - und neben den Spitzenkandidaten auch andere Namen ins Spiel bringen wollen. Da sind zum anderen aber auch die Europäer selbst, die Umfragen zufolge kaum etwas mit Weber, Timmermans und Co anfangen können.

Das alles schwebt über der Debatte, die als rasend schnelles Themen-Abklopfen anfängt und sich dann doch noch in eine Diskussion über die großen Themen des Kontinents entwickelt: Migration, Klimawandel, Handel und Populismus. Vor allem beim Thema Umwelt wird der Ton emotional. Die Grüne Ska Keller appelliert, dass "Europa nicht länger warten kann". Weber müht sich, sein Umweltengagement zu betonen, will aber auch "nachhaltig für Jobs" in der EU sein. Im Ziel, dass die EU bis 2050 klimaneutral werden müsse, stimme er mit den anderen Parteien überein, sein Weg sei jedoch ein anderer. "Ich glaube an Innovation", sagt Weber.

Sozialdemokrat Timmermans kritisiert den EVP-Kandidaten dafür und fordert eine CO₂-Steuer: "Ich bin die Ausreden leid." Die Liberale Margrethe Vestager betont, dass der Klimawandel "größer als wir alle" sei - man dürfe in dieser Sache nicht parteipolitisch denken, sondern müsse zusammenarbeiten.

Solidarität ist eines der großes Stichworte des Abends. Sei es beim Klima oder der Migration, die meisten Kandidaten heben die europäische Zusammenarbeit als Instrument gegen alle Probleme hervor. Dabei wird klar, dass alle sechs Politiker, die schon jahrelang in Brüssel und Straßburg arbeiten, sich in vielem doch ähneln. Vor allem positionieren sie sich eindeutig proeuropäisch - selbst der Konservative Jan Zahradil, der zwar mehr Selbstbestimmung der Nationalstaaten propagiert, sich aber gleichzeitig klar zur EU bekennt.

Und es zeigt sich, dass sie doch alle mehr oder weniger Skepsis für die EU-Skeptiker übrig haben, die wohl deutlich zulegen werden, wenn die Umfragen Recht behalten. Auch Weber, der sich sonst meist verbindlich und besonnen zeigt, findet bei diesem Thema zwar keine Game-of-Thrones-Vergleiche wie sein Kollege Timmermans, aber doch scharfe Worte. Europa gelte es vor den Nationalisten zu verteidigen, so der Christdemokrat.

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