Europawahl:Barroso muss um seinen Posten bangen

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Im neuen EU-Parlament stehen die erstarkten Liberalen und Grünen einer Wiederwahl des Kommissionschefs skeptisch gegenüber.

C. Gammelin, Brüssel

Die grauen Jacken fielen zuerst auf. Aber noch mehr überraschte der Schriftzug auf den einheitlichen Kleidungsstücken. "Panafrikanisches Parlament. Wahlbeobachter", stand da zu lesen. "Wir sind hier, um zu sehen, wie die Europäer ihre Wahlen organisieren", sagt einer der Jackenträger, Marwick Khumbalo. Er ist Abgeordneter des südafrikanischen Parlaments und sitzt für sein Land in dem Panafrikanischen Gremium.

Ob die neue Machtverteilung im Europäischen Parlament eine zweite Amtszeit des amtierenden EU-Kommissionspräsidenten Jose Manuel Barroso zulassen wird, ist fraglich. (Foto: Foto:)

Bisher wählen die Afrikaner - ähnlich wie die Europäer vor 30 Jahren - ihre panafrikanische Volksvertretung nicht direkt. Das soll sich ändern, und deshalb sind die Afrikaner als Wahlbeobachter nach Europa gereist.

Khmualo selbst hat vergangenen Donnerstag die Wahlen in Großbritannien beobachtet und an diesem Sonntag die Wahllokale in Wiesbaden und Frankfurt besucht. Von"Wahllust" sei nicht viel zu spüren, sagt er überrascht. "In Afrika stehen immer lange Schlangen vor den Wahllokalen, hier nicht."

Tatsächlich machte nicht einmal jeder zweite wahlberechtigte Europäer von seinem Recht auch Gebrauch. Nur etwa 43 Prozent der Europäer gingen wählen, und damit noch weniger als im Jahr 2004. Der Begeisterung des Südafrikaners Khumalo tat das allerdings nicht grundsätzlich Abbruch: Die Europäer organisierten ihre Wahlen "wunderbar", sagte er. Und vor allem: Es bestehe "kein Grund zu Misstrauen".

Misstrauisch ob der Auswirkungen der Wahlen auf die künftige europäische Politik zeigte sich der CDU-Abgeordnete Hartmut Nassauer. In Deutschland blieb die Union laut Hochrechnungen stärkste Kraft, erlitt aber deutliche Verluste. Die SPD stand sogar vor ihrem schlechtesten Ergebnis aller Zeiten. Nassauer bezeichnete das Abschneiden seiner Partei in Hinblick auf die Bundestagswahl im September als "exorbitant gut".

Euroskeptiker legten zu

Problematisch sei allerdings, dass offensichtlich vor allem Regierungsparteien vom Wähler abgestraft worden wären, wogegen Euroskeptiker zulegten. Damit werde die "Zersplitterung der Europäischen Volksvertretung zunehmen". Die Europäische Volkspartei (EVP), zu der auch die Union gehört, bleibe stärkste Fraktion. "Wir werden aber sehen, dass die großen Parteien stärker zusammenrücken müssen", erklärte Nassauer. Schließlich müsse verhindert werden, dass rechte Splittergruppen oder Euroskeptiker "bei wichtigen Entscheidungen das Zünglein an der Waage spielen".

In den Niederlanden hat die Partei des Rechtspopulisten Geert Wilders den Einzug ins Europaparlament geschafft. In Österreich erreichte der Euroskeptiker Peter Martin knapp 18 Prozent. Dennoch zeigten sich österreichische Abgeordnete erleichtert darüber, "dass der irrlichternde Euroskeptiker den Rechten die Stimmen weggefangen hat", sagte einer von ihnen.

Zu den Gewinnern des Abends zählten auch die Grünen und die Liberalen. Der amtierende Fraktionschef der Liberalen im Europäischen Parlament, Graham Watson, erklärte angesichts des Wahlerfolgs in Deutschland, die Europäer wollten "keine sozialistische Lösung". Er gehe davon aus, dass die Liberalen ein "deutlich besseres Ergebnis als 2004" hinlegen könnten. Damals hatten sie 12,6 Prozent erzielt.

Anspruch auf die drittgrößte Fraktion im EU-Parlament nach den Konservativen und den Sozialdemokraten meldeten auch die Grünen an. In Deutschland legte die Partei um 1,4 Prozentpunkte zu. Daniel Cohn-Bendit führte die Grünen in Frankreich zu dem Rekordergebnis von 14,5 Prozent - nur drei Prozentpunkte weniger als die Sozialisten, die von knapp 29 Prozent auf 17,5 Prozent abstürzten.

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Der Grüne Cohn-Bendit erklärte im französischen Fernsehen: "Sozialisten und Grüne haben in Frankreich die Mehrheit der Wählerstimmen und wir sind gegen die Nominierung von Barroso." Der Kommissionspräsident muss von den Regierungen der EU-Staaten einstimmig vorgeschlagen werden. Das Europäische Parlament muss diese Nominierung bestätigen.

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Ob die neue Machtverteilung im Europäischen Parlament eine zweite Amtszeit des amtierenden EU-Kommissionspräsidenten Jose Manuel Barroso zulassen wird, erscheint jedoch fraglich. Die Europäische Volkspartei unterstützt eine zweite Amtszeit des Portugiesen. Sozialisten, Grüne und Liberale stehen dem Plan ablehnend bis abwartend gegenüber. Die Unterstützung für Barroso sei "nicht sicher", sagte der Liberale Watson. Man müsse erst abwarten, welche Politik dieser verfolgen wolle und "welche Alternativen es gibt".

Bisher hat Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy die Kandidatur Barrosos unterstützt. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass er diese Linie nach dem Wahlausgang beibehalten kann. Und nicht nur Frankreichs Stimme wackelt. Auch in einigen kleineren EU-Staaten mehren sich die Stimmen gegen eine schnelle Bestimmung des künftigen Kommissionspräsidenten.

Fälle von Stimmenkauf

Der Präsident der Sozialisten im Europäischen Parlament, Poul Nyrup Rasmussen, kündigte am Abend an, einen eigenen Kandidaten präsentieren zu wollen. "Wir werden Barroso nicht unterstützen und eine Mehrheit für eine Alternative herbeiführen", sagte der Däne in Brüssel. "Wir brauchen eine neue Person an der Spitze der Kommission."

Der bisherige Fraktionsführer der Sozialisten, Martin Schulz, hielt sich hinsichtlich des Kommissionspräsidenten bedeckt. Angesichts der Verluste in Deutschland, Frankreich und einigen anderen Staaten sprach er von einem "sehr schweren Abend für die Sozialisten in ganz Europa". Das Wahlergebnis sei Ansporn, stärker für Marktregulierung und sozialdemokratische Positionen zu kämpfen. "Vielen Dank, liebe Genossen und Genossinnen, der Kampf geht weiter."

Am Rande wurden trotz der Wahlbeobachter Unregelmäßigkeiten bekannt. So meldete Bulgarien Fälle von Stimmenkauf. Dabei soll eine Wählerstimme bis zu 40 Lewa (20 Euro) gekostet haben, berichtete der Staatsrundfunk aus dem Süden des Landes. Das Institut für Demokratie-Forschung in Sofia hatte vor der Wahl errechnet, dass die Parteien mindestens sechs Millionen Euro für den Stimmenkauf ausgeben würden.

Auf Rumäniens Landstraßen hatte die Polizei 400 Kontrollposten ein gerichtet und viele Reisebusse überprüft. Der Grund: Rumänen dürfen in jedem beliebigen Wahllokal ihre Stimme abgeben, nicht nur an ihrem Wohnort. Die Behörden befürchteten gekauften Wahltourismus.

© SZ vom 08.06.2009/af - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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