Europawahl 2009:Die Wahl im Schatten

Für die Parteien bleibt die Europawahl eine Abstimmung zweiter Klasse. Für sie zählt nur, was das Ergebnis für die Bundestagswahl bedeuten könnte. So wenden sich auch die Bürger ab.

Peter Fahrenholz

Europawahlen in Deutschland, das ist die Geschichte eines kontinuierlich schwindenden Interesses der Bürger. Schon 1979, bei der ersten Direktwahl zum Europäischen Parlament, war der Enthusiasmus gering, weder der Reiz des Neuen noch die im Vergleich zu späteren Wahlen gewaltige Reklame konnten die Bürger locken. Gerade mal 65,7 Prozent der wahlberechtigten Bundesbürger gingen damals an die Urnen. Seither ging es ständig noch weiter bergab.

Die Grafik zur Europawahl Europawahl

Bei der Europawahl vor fünf Jahren lag die Wahlbeteiligung bei blamablen 43 Prozent. Gut möglich, dass sie dieses Mal noch weiter absackt. Der Wahltermin ist ungünstig, in Bayern und Baden-Württemberg sind Pfingstferien, und der Wahlkampf, wenn man überhaupt davon sprechen kann, dümpelt vor sich hin. Die Parteien sparen ihr Geld offenbar lieber für die Bundestagswahl im Herbst.

Dass Europawahlen in Deutschland trotz einer immer noch positiven Grundeinstellung der Bevölkerung zu Europa nie richtig ernst genommen wurden, hat eine lange Vorgeschichte. Sie reicht weit vor die erste Direktwahl zurück, als die Abgeordneten noch von ihren nationalen Parlamenten ins Europäische Parlament delegiert wurden. Schon damals zeigten die Deutschen nur mäßiges Interesse an diesem Parlament, das so gut wie nichts zu sagen hatte. Die erste Garnitur der deutschen Politik hatte kein Interesse an dieser zeitraubenden Zusatzaufgabe, stattdessen schickten die Fraktionen, wie die Zeit 1978 schrieb, "altgedientes Mittelmaß und ein paar europabegeisterte Nachwuchskräfte" nach Europa.

Bei der ersten Direktwahl 1979 machten die Deutschen in vermeintlich guter Absicht einen Fehler, der noch lange nachwirkte: Um die Attraktivität der Listen zu erhöhen, kandidierten besonders viele altgediente Recken, die ihren politischen Zenit zwar längst hinter sich, dafür aber bekannte Namen hatten. Für die SPD war Willy Brandt das Zugpferd, die CSU schickte den ein Jahr zuvor ausgemusterten Ministerpräsidenten Alfons Goppel. Für das Renommee wirkte sich das verheerend aus. "Hast du einen Opa, dann schick ihn nach Europa", höhnte die Junge Union damals. Für lange Zeit haftete dem Europaparlament der Ruf an, ein Austragstüberl für politische Oldies zu sein, die gegen gutes Salär nochmal eine Ehrenrunde drehen wollten.

Obwohl sich das längst geändert hat und in Brüssel und Straßburg quer durch die Fraktionen Abgeordnete arbeiten, die an Sachverstand, Fleiß und politischem Geschick ihren Kollegen aus dem Bundestag oder gar den Landtagen oft überlegen sind, ist das Ansehen des europapolitischen Personals eher gering. Und zwar sowohl bei der Bevölkerung als auch in den Parteien selbst.

Die Union stellt beispielsweise in Hans-Gert Pöttering sogar den Präsidenten des Europäischen Parlamentes, die Sozialistische Fraktion in Brüssel wird von SPD-Mann Martin Schulz geführt. In der deutschen Öffentlichkeit sind beide Männer aber weitgehend unbekannt, und in der Hierarchie ihrer jeweiligen Parteien spielen sie kaum eine Rolle, da zählt jeder Ministerpräsident mehr.

Dass das Europäische Parlament längst kein machtloser Debattierclub mehr ist, sondern nahezu jeden wichtigen Politikbereich mitformen kann, zählt in den politischen Debatten der Parteien nur wenig, der Sachverstand der eigenen Europaabgeordneten ist dort kaum gefragt.

Wenn auf Parteitagen die Rechenschaftsberichte aus dem Europaparlament aufgerufen werden, ist das für die Delegierten oft die willkommene Gelegenheit für eine Kaffeepause. Es ist eben nicht nur die Komplexität der europäischen Entscheidungsprozesse, die das Thema Europa so sperrig und unattraktiv macht - es ist auch das Desinteresse der innenpolitischen Akteure.

Dass die Europawahlen für die deutschen Parteien nur "Sekundärwahlen" sind, wie die Wissenschaftler das nennen, spiegelt sich auch in den Wahlkämpfen wider, und zwar sowohl in den Budgets als auch in den Kampagnen selber. Die Ausgaben für Europawahlen reichen bei weitem nicht an die Materialschlachten heran, die die Parteien für eine Bundestagswahl betreiben. So haben die Parteien etwa bei der Bundestagswahl 2002 knapp 70 Millionen ausgegeben, zwei Jahre später bei der Europawahl waren es nur etwas mehr als 29 Millionen.

Für die Schatzmeister ist eine Europawahl deshalb eine prächtige Gelegenheit zum Geldverdienen - die staatliche Wahlkampfkostenerstattung ist nämlich regelmäßig höher als die tatsächlichen Ausgaben. Die 14 Parteien, die bei der Europawahl 2004 Anrecht auf Wahlkampfkostenerstattung hatten, strichen insgesamt rund 100 Millionen Euro an staatlichen Subventionen ein - ein schönes Geschäft.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum die Parteien im Europawahlkampf nur auf den üblichen innenpolitischen Schlagabtausch setzen.

Keine Visionen, nur das Übliche

Die Wahlkampagnen selbst sind weit von der Professionalisierung entfernt, wie sie für Bundestagswahlen längst üblich geworden sind. Von Kampas oder externen Wahlkampfberatern keine Spur. Bei Europawahlen kommt es vor allem für die Volksparteien nur auf eines an: die Stammwähler an die Urnen zu bringen. Das schafft man nicht mit irgendwelchen europapolitischen Visionen, sondern eher mit dem üblichen innenpolitischen Schlagabtausch.

Europawahl 2009: EU-Fahne im Schatten des Brandenburger Tors.

EU-Fahne im Schatten des Brandenburger Tors.

(Foto: Foto: AP/Archiv)

Für diese Europawahl gilt das ganz besonders. Denn zum ersten Mal seit 1994 findet sie wieder im gleichen Jahr mit eine Bundestagswahl statt. Noch eindeutiger als sonst ist die Europawahl deshalb eine Wahl im Schatten, sie ist ein Stimmungstest für den Herbst. Die Ausgangslage ist dabei höchst unterschiedlich.

Die SPD wurde vor fünf Jahren, mitten im Streit um die Agenda-Politik ihres Kanzlers Gerhard Schröder, von den Wählern grausam bestraft und kam nur auf 21,5 Prozent, schlechter kann es eigentlich nicht mehr werden. Die CDU dagegen war im Aufwind und kam auf 36,5 Prozent, dazu kamen noch einmal acht Prozent von der CSU - ein Ergebnis, das für die Bundestagswahl völlig unrealistisch ist. Die FDP war mit 6,1 Prozent von ihrem aktuellen Hoch noch weit entfernt und kann deshalb mit einem satten Plus rechnen, was sie propagandistisch sicher entsprechend ausschlachten wird. Auch die Linkspartei hatte 2004 nur 6,1 Prozent und kann auf gewisse Zuwächse hoffen, wohingegen die Grünen, die vor fünf Jahren 11,9 Prozent holten, kaum Luft nach oben haben.

Vor allem die CSU steht diesmal im Fokus: Nach dem Verlust der absoluten Mehrheit bei der Landtagswahl 2008 müssen die Christsozialen erstmals befürchten, an der bundesweiten Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern, die bei der Europawahl gilt.

Das ist zwar ziemlich unwahrscheinlich, weil die Partei dafür in Bayern unter die 40-Prozent-Marke fallen müsste. Sollte es allerdings doch passieren, würde eine Europawahl zum ersten Mal ein heftiges innenpolitisches Erdbeben auslösen.

Ansonsten aber werden Sieg oder Niederlage innenpolitisch wie üblich umgemünzt werden: Wer am Wahlabend einen Plus-Balken verzeichnen kann, wird darin ein wichtiges Signal für die Bundestagswahl sehen. Und wer einen Minus-Balken verkraften muss, wird dessen Aussagekraft relativieren. Nach dem Motto: War ja nur eine Europawahl.

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