Süddeutsche Zeitung

Europas Rechtspopulisten nach den Attentaten:Schnelles Wegducken

Die beiden Attentate in Norwegen werfen ein grelles Blitzlicht auf Europas rechte Szene. Islamkritiker und Populisten gieren normalerweise nach internationaler Aufmerksamkeit - jetzt gehen sie auf Distanz zu Attentäter Breivik.

Cathrin Kahlweit und Michael Frank

Die Chefin der norwegischen Fortschrittspartei, Siv Jensen, sagt, sie sei entsetzt über das Massaker, das Anders Behring Breivik verübt hat. Dass er eine Zeitlang auch Mitglied in ihrer Partei war, mache sie "noch trauriger". Für die rechtspopulistische Gruppierung, die bei den jüngsten Wahlen knapp 23 Prozent der Stimmen errang, muss die Wahnsinnstat vom Freitag ein Schock sein, denn die Fremskrittspartiet wird derzeit immer wieder in einem Atemzug genannt mit Breiviks kruden Überzeugungen, seinem Rassenhass und seiner Islamfeindlichkeit.

Und nicht nur das: Im September sind in Norwegen Kommunalwahlen. Dann dürfte die Partei, die zuletzt in Umfragen landesweit bei 30 Prozent lag, abstürzen - das sagt zumindest der Norweger Stein Kuhnle voraus, der an der Hertie School of Governance über vergleichende Sozialpolitik und nordische Politik forscht.

Kuhnle geht davon aus, dass die Fortschrittspartei nun, nach Breiviks Amoklauf, viele Wähler verlieren werde, die gerade jetzt nicht für eine ausländerfeindliche Politik stimmen wollten - aber er nimmt die Gruppierung auch in Schutz: Die Fremskrittspartiet sei zwar populistisch, aber nicht extremistisch. Sie habe sich, 1973 als anti-etatistische Partei gegründet, langsam der Mitte angenähert, wettere nicht mehr gegen den norwegischen Wohlfahrtsstaat und nicht mehr gegen die Bürokratie. Allerdings nährten Norwegens Rechtspopulisten, immerhin zweitstärkste Kraft im Parlament und Teil des politischen Establishments, bis heute die Angst vor fremden Kulturen und muslimischen Einwanderern. Kuhnle sieht eben darin die Gefahr, die von der Fortschrittspartei ausgeht: "Sie ist nicht offen rassistisch, sondern arbeitet subtiler, scheinbar rational."

Weil Rechtspopulismus und Rechtsextremismus eine große ideologische Schnittmenge haben, beeilen sich derzeit rechte Ideologen in ganz Europa, sich von dem Norweger und seinem 1500-Seiten-Manifest abzugrenzen. Der Niederländer Geert Wilders, Chef der islamkritischen Freiheitspartei, sagte, der Täter sei ein "gewalttätiger und kranker" Mann. Wilders, von dessen Duldung die niederländische Regierung abhängig ist, hatte selbst erst kürzlich wegen Aufstachelung zum Hass gegen Muslime vor Gericht gestanden. Er war freigesprochen worden - mit Verweis auf die Meinungsfreiheit. In Frankreich distanzierte sich Marine Le Pen, die Chefin des rechtsextremen Front National, der derzeit drittstärksten Partei des Landes, von dem "Verrückten".

Auch die Wahren Finnen, die Dänische Volkspartei und die Schwedendemokraten, allesamt starke rechtspopulistische Kräfte in einer einstmals durchwegs liberalen Parteienlandschaft, ducken sich weg; sie alle hatten mit einer nationalistischen, europakritischen und einwanderungsfeindlichen Ausrichtung in den vergangenen Jahren Einfluss und Macht gewonnen. Nun wehren sie sich gegen den Vorwurf, mit ihren Ideen den geistigen Nährboden bereitet zu haben für die Überzeugungen eines Anders Behrig Breivik. Die Chefin der norwegischen Fortschrittspartei, Siv Jensen, findet, die Sache sei eher umgekehrt: Die Gefahr einer Radikalisierung, sagte sie im Fernsehen, werde eher vermindert, wenn in aller Öffentlichkeit Themen diskutiert würden, welche die Bevölkerung bewegten.

Sonst nach internationaler Aufmerksamkeit gierend, zuckt auch die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) plötzlich vor dem grellen Blitzlicht zurück, das der norwegische Massenmord auf die rechte Szene wirft. In dem Manifest des Täters werden die FPÖ wie ihre Abspaltung Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) allerdings als anti-islamistische und ausländerfeindliche Parteien gelobt. Ganz Österreich ist für Breivik ein Vorbild. Er bezeichnet das Land als einstmals wichtiges Bollwerk des christlichen Abendlandes gegen Türken und Muslime, das aber heute bei der Abwehr des Islam schmählich versage.

Der Titel, "Manifest 2083", bezieht sich offenbar auf die letzte große Türkenbelagerung Wiens. Sie endete im September des Jahres 1683 siegreich für die christlichen Heere und faszinierte den Autor so, dass er dieses Datum als "Nationalfeiertag der europäischen Befreiung" vorschlägt.

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SZ vom 26.07.2011/jab
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