Europas Kampf gegen die Schuldenkrise:Kein Euro ohne Rom

Sorgenkind im Süden: Italien kämpft gegen die Staatspleite, weshalb die Regierung Berlusconi 54 Milliarden Euro einsparen will. Künftig muss die politische Klasse das Land regieren, ohne ausschließlich auf die eigenen Interessen zu achten. Damit dies gelingt, ist weiterhin der Druck der Märkte, der Europäischen Zentralbank und der EU nötig.

Andrea Bachstein, Rom

In einem hektischen Wettlauf gegen die Zeit hat Italiens Regierung jetzt ihr Sparprogramm verabschiedet und auch Lob der EU dafür bekommen - ein wichtiges Signal. Doch nun kommt erst die eigentliche Prüfung: Sie muss das 54-Milliarden-Euro-Paket auch wie vorgesehen in zwei Jahren abliefern. Die Regierung von Silvio Berlusconi, die sich durch ihre notorische, meist folgenlose Ankündigungspolitik auszeichnet, steht vor ihrer größten Herausforderung.

Italy's Prime Minister Silvio Berlusconi reacts during a debate in the upper house of parliament in Rome

In der schweren Krise Italiens schwindet das Vertrauen in Silvio Berlusconi. Seine Regierung will jetzt mit einem 54 Milliarden Euro schweren Sparpaket gegensteuern.

(Foto: Reuters)

Statt der Schuldenkrise früher entgegenzutreten, hat Berlusconi Jahre in Tatenlosigkeit verstreichen lassen. Lediglich schöngeredet hat der Premier die Lage. Aber nicht nur die Regierung, das ganze Land tut sich so schwer mit Reformen. Nun müssen alle den Kraftakt schaffen, denn nur so gibt es noch eine Chance, dass das Vertrauen der Märkte zurückkommt und der Ausverkauf der italienischen Staatsanleihen gestoppt wird. Nur so kann der gefährliche Sog, den Italiens Defizit von sagenhaften 1911,8 Milliarden Euro entwickelt, seine Wirkung verlieren.

Italien entscheidet Schicksal der gemeinsamen Währung

An Italiens Zustand wird sich das Schicksal der gemeinsamen Währung entscheiden. Die Staatspleite eines Landes von 60 Millionen Menschen, einer Volkswirtschaft dieser Größe - das ist nicht vorgesehen in den Lehrbüchern. Deswegen ist Italien auch nicht mit Griechenland vergleichbar - vor allem auch nicht, was seine Potentiale angeht. Trotz aller Probleme ist es das drittstärkste Industrieland in der EU, es gibt kreative Unternehmer mit in der ganzen Welt erfolgreichen Produkten und großen privaten Reichtum.

Italien ist nicht nur Berlusconi, doch ein Regierungschef, der praktisch zur Verkörperung der Vertrauenskrise geworden ist, bleibt wohl das größte Problem der Italiener. Seine Führungsschwäche hat sich in den letzten Wochen fatal ausgewirkt. Seine Koalition zeigt deutliche Risse: Die Basis der Lega Nord fühlt sich von Berlusconi nicht mehr vertreten. Vor allem in seiner eigenen PDL ist das Unbehagen unübersehbar. Anders als noch vor Monaten wird nun auch den letzten Abgeordneten dämmern, dass es mit Berlusconi keine Zukunft gibt.

Vertrauen in Berlusconi auf 24 Prozent abgestürzt

Nach einer neuen Umfrage ist das Vertrauen in den Regierungschef seit Januar von 40 auf kärgliche 24 Prozent abgestürzt. Seine PDL liegt danach nun gleichauf mit der Mitte-links-Partei PD. Der Premier bietet ein erbärmliches Bild. Während das Land in den finanziellen Abgrund blickt, ist er schon wieder damit beschäftigt, der Justiz zu entkommen. Das ist inzwischen fast physisch zu verstehen. Berlusconi scheint sich sogar bewusst internationale Termine zu verschaffen, um den Vorladungen der Staatsanwälte auszuweichen.

Wieder und immer noch geht es um eine seiner privaten Sexaffären: Milliarden verbrennen an den Börsen, die Bürger müssen sich auf schwierige Zeiten einstellen, und der Premier telefoniert mit halbseidenen bis kriminellen Gestalten. Was aus den Ermittlungen nach außen dringt, beherrscht schon am Tag nach der Verabschiedung des Sparpakets die Schlagzeilen und wird Berlusconi noch gefährlich zusetzen.

Die Kraft zum Befreiungsschlag, zu einem Neuanfang ohne den Mann an der Spitze findet seine Partei dennoch nicht. Sie ist ein Geschöpf Berlusconis, von ihm errichtet, er ist ihr Daseinsgrund. Ihre Amtsträger sind abhängig von ihm, haben zu seinen Gunsten gestimmt, auch wenn es vielleicht dem Land schadete. Diese Regierung, diese Politiker sollen nun schmerzliche Einschnitte und schwierige Reformen durchsetzen? Sie sollen Glaubwürdigkeit ausstrahlen?

Politische Klasse darf nicht mehr nur an eigene Interessen denken

Italien braucht jetzt nationalen Zusammenhalt und eine Politik der Verantwortung - so wie es Staatspräsident Giorgio Napolitano, längst die moralische Autorität in der Politik, energisch fordert. Die politische Klasse muss das Land regieren, ohne nur auf die eigenen Interessen zu achten. Indes: Wer glaubt, dass sich diese Klasse über Nacht ändert, der braucht viel Optimismus. Und vor allem weiterhin den Druck der Märkte, der Europäischen Zentralbank und der EU.

Soll die Sanierung Italiens gelingen, müssen auch viele Bürger ihr Verhalten ändern. Die Volkskrankheiten Steuerhinterziehung und -vermeidung grassieren ungebremst. Keine Quittungen bei Handwerkern, keine Rechnung beim Arzt, Mieten, zur Hälfte schwarz gezahlt - das ist Alltag, und jeder weiß es. 67 Prozent der kontrollierten Händler und Wirte mauschelten, hat soeben die Finanzpolizei in Rom mitgeteilt. Sie durften sich verstanden fühlen von einem Regierungschef, der schon mal sagte, er habe angesichts der Progression Verständnis, wenn jemand nicht zahle.

Nun gibt es ein Haushaltspaket mit neuen und noch höheren Steuern, aber ach: Wer noch weniger in der Tasche hat, kann den Konsum nicht ankurbeln. Außerdem steigt die Mehrwertsteuer, stagnieren werden aber die Löhne für Arbeiter und Angestellte, die bei gleichem Preisniveau deutlich niedriger sind als in Deutschland. Dazu werden die öffentlichen Leistungen zurückgefahren. Der Protest wird also anschwellen. Die größte Gewerkschaft hat einen heißen Herbst angekündigt. Europa wird wohl noch einige Zeit mit Hoffnung und Sorge zugleich auf Italien schauen müssen.

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