Süddeutsche Zeitung

Europaparteitag der Linken:Kalte Krieger gegen Europa

Mit der Rhetorik vergangener Zeiten wollen die ganz harten Linken auf dem Hamburger Europaparteitag ihren Anti-Europa-Kurs durchboxen. Sie scheitern. Die Debatte aber zeigt: Der Linken fehlt eine Idee, was sie mit Europa anfangen soll.

Von Thorsten Denkler, Hamburg

Wolfgang Gehrcke hat schon verloren, bevor er ans Rednerpult im Congress Center Hamburg tritt. Als er wieder heruntersteigt von der Bühne des Europaparteitages der Linken, da darf er sich kurz als Gewinner fühlen. Applaus und Gejohle begleiten ihn.

Gehrke ist jetzt so etwas wie der Anti-Europäer der Herzen. Ein Kommunist durch und durch. Aus der SPD rausgeflogen, dann in die DKP, danach in der PDS respektive der Linken Karriere gemacht. Im Bundestag sitzt er.

Er ist außenpolitischer Sprecher der Fraktion. Was einigermaßen seltsam ist. Gehrcke gehört zur Beton-Fraktion in der Linken. Einer von denen, die jede Koalition sprengen würden, wenn sie auch nur einen deutschen Soldaten zum Waffelbacken ins Ausland schicken würde. Von ihm kommen solche Sätze: "Ich hab' immer Schwierigkeiten mit diesem Deutschland gehabt." Rot-Rot-Grün mit einem wie Gehrcke? Undenkbar. Manche in der Fraktion sind da weiter.

"Militaristisch, weithin undemokratisch"

Gehrcke hat zusammen mit seinem Gesinnungsgenossen Dieter Dehm einen Satz in die Präambel des Europawahlprogramms gebracht, der der Partei erhebliche Kopfschmerzen bereitete:

"Spätestens seit dem Vertrag von Maastricht wurde die EU zu einer neoliberalen, militaristischen und weithin undemokratischen Macht, die nach 2008 eine der größten Krisen der letzten 100 Jahre mit verursachte."

Nach einigem Hin und Her und viel Ärger ist der Satz jetzt wieder raus. Fraktionschef Gregor Gysi fand ihn schwierig. Andere in der Parteiführung halten ihn für kompletten "Unfug". Der Parteivorstand hatte ihn dennoch zunächst abgesegnet.

In der Partei glauben nicht wenige, die Parteispitze hätte sich dem angeblichen Druck der Medien gebeugt. Gehrcke wollte den Satz auf dem Parteitag wieder hereinstimmen lassen - verzichtete aber zum Schluss. Überzeugt schien er aber nicht zu sein.

Die Wut ist ihm anzumerken. Er versteht die Kritik an dem Satz nicht: "Was ist falsch daran, die EU als militaristisch zu bezeichnen? Nichts ist falsch daran!" Die Faust geballt. Der Parteitag johlt.

Gehrcke glaubt offenbar, der Satz hätte auch raus gemusst, damit sich die Linke für mögliche Koalitionen mit der SPD schönmachen kann. Das bringt ihn erst richtig auf die Palme: "Wenn wir werden sollen, wie Gabriel es ist, dann pfeife ich auf Regierungsteilnahme!"

Auch dafür wird er gefeiert. Seinen Antrag zieht er zwar zurück - aber er will ihn jetzt "massenhaft ausdrucken" und im Europawahlkampf verteilen. Seine Wahrheit soll nicht untergehen.

Trotzdem wählt die Linke den geschmeidigeren Weg, nimmt die entschärfte Version der Präambel an. Es gilt ja eine Wahl zu gewinnen. Es ist eine Konsenslösung ohne Konsens.

An diesem Abend machen sie die ehemalige Parteivorsitzende Gabi Zimmer zu ihrer Spitzenkandidatin für die Europawahl. Die 58-Jährige bekommt 76,5 Prozent der Delegiertenstimmen, andere Bewerber gibt es nicht.

Wagenknecht spricht von der EU als "Fassadendemokratie"

Der Linken fehlen eine klare Haltung zu und eine Vision für Europa. Besonders deutlich wird das an Sahra Wagenknecht, einst Gallionsfigur der kommunistischen Plattform und jetzt im Streben nach Macht manchen zuweilen etwas weichgespült. Fraktionsvize ist sie, Fraktionschefin will sie werden.

Erst erklärt sie vor den Delegierten, in der Linken gebe es keine Anti-Europäer. Ein paar Sätze weiter spricht sie von der EU als "Fassadendemokratie" und hält eine Anti-Europa-Rede, die wohl selbst in der CSU so nicht durchkäme. Plötzlich ist sie wieder da, die bekannte Ultralinke.

Es ist ja sonst Aufgabe der Parteichefs, bei solchen Spannungen zu vermitteln und Kontrahenten zusammenzuführen. Parteichefin Katja Kipping aber redet so blass von Europa, dass der Gedanke geradezu abwegig erscheint, für dieses Europa kämpfen zu müssen.

Kein gutes Wort verliert sie über Europa. Lieber bescheinigt sie der EU wegen ihrer Flüchtlingspolitik "Wohlstandschauvinismus". Hat sie auch eine Vision für Europa? Irgendein Ziel, wo es hingehen soll? Klar: "Voran zu einem eines Tages vielleicht auch sozialistischen Europa!"

Militaristisch, imperialistisch, kapitalistisch, chauvinistisch, neoliberal - in der weiteren Debatte gehen diese und andere Vokabeln wie in einem Platzregen auf die Delegierten nieder. Je schriller die Kritik an der EU desto besser, scheint es.

Reformer wie der Abgeordnete Jan Korte ernten Buhrufe. Er merkt an, dass manches Geld der EU auch richtig angelegt sei und wirbt für einen differenzierten Blick auf Europa. Korte glaubt gar nicht, dass mit der EU alles in Butter sei. Es gehe aber auch um die "Tonalität" in der Debatte. Er warnt vor Kleingeistigkeit: "Wir sind nicht die Gartenzwerg-Linke! Wir sind nicht die Volksmusik-Linke! Wir müssen die Rockmusik-Linke sein!" Der Applaus ist eher mau.

Mal wieder muss Gregor Gysi, der Fraktionschef, den Job übernehmen, der der von Kipping gewesen wäre. "Europa muss gegen alle Feinde verteidigt werden!", fordert er. Und: "Wenn es den Euro nicht mehr gäbe, wäre das ein Rückschritt in der europäischen Integration." Statt der EU praktisch die Existenzberechtigung abzusprechen, verwendet er lieber das Wort "Fehlentwicklungen" um seine Kritik an der EU zu eröffnen.

Kritik an Bundespräsident Gauck

Es sei falsch, wenn die Linke glaube, das Glück Europas liege in der Nation. Diese "Kleinkariertheit" in der Partei will er überwinden. Die Partei könne sie sich in ihrer Rolle als stärkste Oppositionskraft nicht mehr leisten: "Dafür sind wir zu bedeutsam." Die Linke sei eben "keine APO". Sie sei "nicht das Sprachrohr einer Bewegung. Wir sind Sprachrohr der Linken!" Kurz, die Linke müsse eine "Opposition für die gesamte Gesellschaft sein". Interessant, dass viele Delegierte lieber sitzend am Schluss-Applaus für Gysi teilnehmen.

Gysi gehört zu den Wenigen, die auf dem Parteitag keine offene Kritik an Bundespräsident Joachim Gauck üben. Gauck hatte auf der Münchener Sicherheitskonferenz mehr Engagement Deutschlands in der Welt gefordert. Inge Höger, Bundestagsabgeordnete der Linken, empört sich etwa, dass Gauck wie auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen "wie Kaiser Wilhelm kurz vorm Ersten Weltkrieg" sprächen. Will sie wirklich damit nahelegen, Deutschland wolle einen dritten Weltkrieg anzetteln?

Die Sache mit der Präambel ist diesmal gerade noch gut gegangen. Die Europa-Kritiker in der Linken aber werden sich davon nicht beeindrucken lassen. Ein Delegierter fordert, dass die Partei in den kommenden Jahren dringend ihr Verhältnis zu Europa klären muss. Da dürfte die Linke noch einiges zu tun haben.

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