Europäische Union:Rückschlag für Orbán

Europäische Union: Auf der Suche nach neuen Verbündeten in Europa: Viktor Orbán.

Auf der Suche nach neuen Verbündeten in Europa: Viktor Orbán.

(Foto: Attila Kisbenedek/AFP)

Ungarns Premier wollte im Europaparlament eine rechte Superfraktion schmieden. Daraus wird nun vorerst nichts - unter anderem, weil der italienische Lega-Chef Matteo Salvini nicht mitzog.

Von Matthias Kolb, Brüssel

Mehr als drei Stunden dauerte die Pressekonferenz, die Viktor Orbán vor der Weihnachtspause abhielt. Ungarns Premier beklagte am Dienstag erneut, dass die EU-Kommission die Gelder aus dem Corona-Hilfsfonds wegen der Aushöhlung des Rechtsstaats in Ungarn nicht ausbezahlt, und sagte, dass die 44-jährige Familienministerin Katalin Novák 2022 das repräsentative Amt der Präsidentin übernehmen soll. Dass es so kommen wird, gilt als sicher, denn Orbáns Fidesz-Partei hat eine komfortable Mehrheit im Budapester Parlament.

Anders ist die Lage für die elf Fidesz-Abgeordneten im Europaparlament: Seit die Partei im Winter die EVP-Fraktion, in der CDU und CSU dominieren, verlassen hat, müssen diese sich als Einzelkämpfer durchschlagen. Auch aus der Parteienfamilie trat der Fidesz, der Migranten dämonisiert und immer weiter nach rechts rückt, im März aus. Seither wurde geraunt, dass Fidesz eine rechte Superfraktion schmieden würde, der etwa die italienische Lega und Orbáns polnische Verbündete der rechtsnationalen PiS angehören würden. Es geht um mehr Geld, Redezeit und Einfluss im Europaparlament. Doch daraus wird nun nichts, wie Orbán zugab: "Es gibt keine Chance, eine neue Fraktion vor der Präsidentschaftswahl in Frankreich zu bilden." Diese findet im April statt, kurz darauf muss sich auch Orbán den Wählerinnen und Wählern stellen.

Das Eingeständnis aus Budapest ist in Brüssel mit Erleichterung aufgenommen worden. Würde die rechtskonservative Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) mit der rechten "Identität und Demokratie" (ID) zusammengehen, entstünde die drittgrößte Fraktion nach Christ- und Sozialdemokraten. Im Januar 2022 stimmen die 704 Abgeordneten nicht nur darüber ab, wer Nachfolgerin von Parlamentspräsident David Sassoli wird - es geht auch um die Vorsitze in den Ausschüssen und damit um mächtige Positionen.

Die Fidesz-Abgeordneten bleiben im parlamentarischen Nirgendwo

In der EKR-Fraktion, in der ohne die 27 Vertreter der PiS nichts geht, ist man mit dem Status quo jedoch zufrieden: Deren Abgeordnete können als Berichterstatter für einzelne Dossiers die Positionen des Parlaments prägen. Die Mitglieder der ID-Fraktion, zu der neben der AfD auch 24 Abgeordnete der Lega von Matteo Salvini gehören, starten weder Initiativen noch fallen sie durch Kompetenz auf, so dass sie leicht ignoriert werden können. Gleiches gilt für Fidesz, dessen Abgeordnete im parlamentarischen Nirgendwo verbleiben.

"Diese Entwicklung ist ein Rückschlag für Orbán", sagt Roland Freudenstein von der Denkfabrik Globsec. Als Polens starker Mann Jaroslaw Kaczynski Anfang Dezember zum "Gipfel" der Rechtspopulisten, EU-Skeptiker und Nationalisten einlud, sei der Ungar hoffnungsvoll angereist, so Freudenstein. Auch die FPÖ sowie die spanische Vox-Partei waren vertreten. Trotz ihrer Nähe zum Kreml wurde Marine Le Pen, die Präsidentschaftskandidatin des französischen Rassemblement National, wie ein Staatsgast empfangen und mit Blaulicht durch Warschaus Straßen gefahren.

Offenbar ist Kaczynski bereit, mit Le Pen ein ähnliches Bündnis wie mit Orbán einzugehen: Dass man Russlands Präsident Wladimir Putin und die von ihm ausgehende Bedrohung ganz anders sieht, soll vorerst ausgespart werden. Dass die Pläne einer rechten Superfraktion geplatzt sind, liegt vor allem an Matteo Salvini und dessen innenpolitischem Kalkül. Er war gar nicht nach Warschau gereist, weil seine Lega kein Bündnis mit den Postfaschisten der "Fratelli d'Italia" schließen will, die der EKR-Fraktion angehören - und in Italien um die gleichen Wähler konkurrieren.

Neben der Diskussion um Russland könnte auch die Frage des richtigen Umgangs mit China zu einem "Spaltpilz" zwischen den Rechtsparteien werden, sagt Experte Freudenstein. Er nennt als nächstes Datum die Europawahl im Mai 2024: "Bis Ende 2023 müssen sie eine Allianz geschmiedet haben, um den Wahlkampf zu beeinflussen."

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