Europaparlament:Schlagabtausch mit Orbán: "Es ist so wie bei Stalin seinerzeit"

Hungary's PM Orban reacts during a plenary session at the EP in Brussels

Viktor Orbán während seines Besuchs im EU-Parlament in Brüssel

(Foto: REUTERS)
  • Ungarns Premier Orbán verteidigt in Brüssel eine EU-feindliche Kampagne und sein umstrittenes Hochschulgesetz.
  • Die EU-Kommission hat wegen des ungarischen Hochschulgesetzes ein Vertragsverletzungsverfahren auf den Weg gebracht.
  • Redner der großen Fraktionen im Europäischen Parlament gehen Orbán massiv an - Kritik kommt auch aus seinem eigenen Lager.

Von Oliver Das Gupta

Als Viktor Orbán seinen Platz einnimmt im Europaparlament, ist es kurz vor halb vier Uhr am Nachmittag. Ungarns Premier hört dem Ersten Vizepräsidenten der EU-Kommission, Frans Timmermans, zu. Wenige Stunden zuvor war bekannt geworden, dass Brüssel wegen des neuen ungarischen Hochschulgesetzes ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn auf den Weg gebracht hat.

Der Niederländer Timmermans knöpft sich Orbáns Regierung vor: Punkt für Punkt geht er auf die Anwürfe aus Budapest ein, etwa, dass Brüssel die Außengrenzen der EU nicht sichere. Und Timmermans greift an, ruhig im Ton, inhaltlich konfrontativ. So formuliert er immer wieder die "Sorge" der EU, dass die ungarische Regierung die Zivilgesellschaft im eigenen Land unterdrückt und diese "diffamiert" werde.

"Wir Ungarn geben den Kampf nie auf"

Wiederholt erinnert der Kommissar daran, dass Ungarn sich zur Einhaltung von EU-Recht verpflichtet habe. Und daran, dass Ungarn immer wieder EU-Recht breche. Der Empfänger der Botschaft bleibt weitgehend reglos, manchmal nippt Viktor Orbán an einer kleinen Tasse.

Dann ist er an der Reihe und liest seine vorbereitete Rede ab. Es ist ein Vortrag, der nur insofern überrascht, als dass er immer wieder auf George Soros verweist, direkt und indirekt. Orbán behauptet seit langem, der US-Milliardär habe die Flüchtlingskrise inszeniert, um Nationalstaaten wie Ungarn zu schwächen.

Soros, der als Kind von Budapester Juden nur mit viel Glück den Holocaust überlebt hatte, hat nach dem Ende des Kalten Krieges in seiner alten Heimat die Zentraleuropäische Universität (CEU) gegründet und finanziert sie bis heute. Die liberale Bildungseinrichtung ist dem nationalkonservativen Orbán schon lange ein Dorn im Auge; mit dem neuen ungarischen Hochschulgesetz will er die CEU austrocknen.

Seine Begründung lautet diesmal, er wolle nur "sicherstellen, dass ungarische Universitäten nicht ins Hintertreffen geraten". Die Ursache für den Gegenwind aus Europa in dieser Sache, das macht der Ministerpräsident in seiner Rede klar, sieht er wiederum im angeblichen Einfluss von Soros. Bis zum Raunen einer großen Verschwörung gegen das kleine Ungarn ist es nicht mehr weit.

Orbán stellt sich als Macher dar, kokettiert mit der geringen Arbeitslosigkeit in Ungarn, er beklagt angebliche "Vorurteile" gegenüber seiner Regierung, er sagt Sätze wie: "Wir Ungarn geben den Kampf nie auf" und "Wir reden geradeaus". Mehrmals fordert er, die EU gehöre reformiert, er schimpft über Bürokraten.

Das tut er wohl, um zu rechtfertigen, warum er in Ungarn eine Anti-EU-Kampagne initiiert hat namens "Stoppt Brüssel". Der Premier des Netto-Empfängerlandes Ungarn sollte sich vielleicht bei seinem nächsten Treffen von seinem Spezl Horst Seehofer erklären lassen, wie das mit dem Länderfinanzausgleich in Deutschland läuft.

Der CSU-Chef ist nicht in Brüssel, wohl aber sein Stellvertreter Manfred Weber. Der Niederbayer spricht als Chef der konservativen EVP-Fraktion nach Orbán. Dessen Fidesz-Partei gehört auch zu Webers Fraktion. Das hält den CSU-Mann aber nicht davon ab, den Ungarn überraschend deutlich anzugehen.

"Es geht heute nicht um Soros", sagt Weber als erstes und betont die Freiheit der Wissenschaft. Orbán solle "bitte" den Änderungswünschen der Kommission nachkommen, so Weber. Dann folgen Sätze ohne "Bitte": Die Kampagne "Stoppt Brüssel" sei "Stimmungsmache gegen Europa", schimpft Weber.

"Sie lügen und Sie wissen, dass Sie lügen"

Orbáns Wetterei gegen die Brüsseler Bürokraten kommentiert er mit feinem Florett. Er möge sich mal umsehen im Plenarsaal, sagt Weber und schaut auf die zahlreichen Begleiter des Premiers: "Die meisten Bürokraten sitzen hinter Ihnen." "Nicht Bürokraten entscheiden in Brüssel, sondern gewählte Politiker", ruft Weber. Dann gibt er Orbán noch ein bisschen recht bei der Forderung nach Transparenz der NGOs, ein bisschen haut er auf Sozialisten und Grünen im Parlament herum. Aber der Kern seiner Botschaft bleibt klar: Bei Weber beißt Orbán in wesentlichen Anliegen auf Granit.

Nach dem Christsozialen reden Vertreter der anderen großen Fraktionen, und die verbalen Prügel für den Gast aus Ungarn gehen weiter. Gianni Pittella, Vorsitzender der sozialdemokratischen Fraktion, hält Orbán vor: "Sie lügen und Sie wissen, dass Sie lügen." Das Europäische Parlament vertrete nicht die Interessen eines US-Investors, sondern der europäischen Bürger.

Ähnlich erregt meldet sich Guy Verhofstadt zu Wort. Der ehemalige belgische Regierungschef führt inzwischen die liberale Alde-Fraktion und erinnert Orbán an seine politischen Anfänge. Nach Ende des Kalten Krieges sei er auch ein Liberaldemokrat gewesen, nun habe er sich zu einem nationalistischen Konservativen entwickelt, der einen "illiberalen Staat" aufbaue. "Was wird der nächste Schritt sein? Wollen Sie Bücher verbrennen?", fragt der Belgier. Damit spielt der Belgier auf die Bücherverbrennungen an, die die Nazis nach der Machtergreifung in Deutschland öffentlich zelebrierten.

Verhofstadt machte noch einen weiteren historischen Vergleich. Er warf Orbán vor, Menschen mit anderen Ansichten in der Gesellschaft zu unterdrücken. Mit Blick auf die "Säuberungswellen" in der Sowjetunion sagte Verhofstadt : "Es ist so wie bei Stalin seinerzeit."

Orbán und die Sprache der Stärke

Wenn Orbán an diesem Tag nach Brüssel gekommen war, um neue Freunde zu finden, dürfte er die Reise als Misserfolg empfinden. Mit den Nazis und mit Stalin verglichen sowie Lügner genannt zu werden, sowie selbst von eigenen Konservativen Kritik zu kassieren: Das ist wahrlich kein Erfolg, aber womöglich das Resultat von Erfahrungen, die man in Brüssel und anderswo in Europa gesammelt hat.

Menschen, die Orbán seit Jahren kennen und mit ihm arbeiten (müssen), erwähnen in vertraulichen Runden, was Ungarns mächtigen Mann am ehesten beeindruckt: "Die Sprache der Stärke (...) Du musst ihn direkt angehen." Insofern ist der breite Furor, der Orbán in Brüssel entgegenschlägt, nur folgerichtig. Es kann aber auch die Wut über die eigene Machtlosigkeit sein, denn Strafen welcher Art auch immer hat Orbán bislang nicht wirklich zu fürchten.

Erwähnenswert ist noch eine Anmerkung von Gaby Zimmer, die Vorsitzende der Linken-Fraktion ist. Sie sei als Sozialistin keine Freundin des Kapitalisten Soros, sagt Zimmer und richtet dann an Orbán die Frage: "Stimmt es nicht, dass Sie selbst Stipendiat von Soros in Oxford waren?" Mit einem Stipendium, erwidert Orbán viele Debatten-Beiträge später, werde ja wohl nicht für alle Zeiten eine Meinung gekauft.

Mit Material von dpa.

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