EU-Kommission:Melonis Mann für Brüssel will kein Meloni-Mann sein

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Der Italiener Raffaele Fitto (re.) will EU-Kommissar werden. Seine Nähe zu Giorgia Meloni stört die Linken im EU-Parlament. (Foto: Luigi Mistrulli/Imago)

Die Stimmung im Europaparlament ist vergiftet. Die Anhörung der neuen Kandidatinnen und Kandidaten für die EU-Kommission dreht sich um eine Frage: Kippt der Italiener Raffaele Fitto?

Von Josef Kelnberger, Brüssel

Mag der Rest der Welt auch aus den Fugen geraten, so bleibt die Europäische Union doch bei ihrem vorbestimmten Lauf. Deshalb kreist die EU bei der Suche nach einer neuen Führung noch immer um sich selbst, während möglicherweise nächste Woche schon ein gewählter US-Präsident Donald Trump den Globus erschüttern wird.

Dabei, man erinnert sich vage, fanden die Europawahlen schon am 9. Juni statt. Ursula von der Leyen wurde am 18. Juli vom Europaparlament in ihrem Amt als Kommissionspräsidentin wiedergewählt und stellte am 17. September ihr restliches Team vor. Aber diese 26 Frauen und Männer müssen noch vom Europaparlament bestätigt werden – und ihre Anhörungen beginnen erst an diesem Montag, sie dauern bis zum 12. November.

Diese Anhörungen gelten als eine Sternstunde der europäischen Demokratie. In kaum einem Nationalstaat hat das Parlament ein derartiges Mitspracherecht bei der Ernennung der Exekutive. Die Kandidatinnen und Kandidaten müssen den für ihr Fachgebiet zuständigen Ausschüssen Rede und Antwort stehen. Um bestätigt zu werden, brauchen sie jeweils eine Zweidrittelmehrheit. Am Ende des Prozederes steht eine Abstimmung über die gesamte Kommission im Parlamentsplenum. Dann genügt die einfache Mehrheit der Stimmen.

Krieg der Sterne statt Sternstunden des Parlaments

Diese Sternstunde ist allerdings überlagert von der zunehmenden Polarisierung zwischen rechts und links im Europaparlament. Deshalb könnte es zu einem Hauen und Stechen kommen nach dem Motto: Schießt ihr unseren Kandidaten ab, dann lassen wir eure Kandidatin über die Klinge springen. Die nationalen Regierungen, zuständig für die Nominierungen, müssten dann neues Personal nach Brüssel schicken. Und der Amtsantritt der neuen Kommission, geplant für 1. Dezember, könnte sich bis ins nächste Jahr hinein verschieben.

Als größter Problemkandidat gilt eigentlich der ungarische EU-Kommissar Olivér Várhelyi, den Ministerpräsident Viktor Orbán neuerlich nominiert hat. Er war in den vergangenen fünf Jahren für Fragen der EU-Erweiterung zuständig und soll sich künftig um Gesundheit und Tierwohl kümmern. Von beidem hat er wenig bis keine Ahnung. Was erschwerend hinzukommt: Er hat Europaparlamentarier schon mal pauschal „Idioten“ genannt. Was ihn jedoch schützt: Orbán könnte den ganzen EU-Betrieb lahmlegen, wenn er sich weigert, jemand anders nach Brüssel zu schicken.

Und deshalb steht im Mittelpunkt aller Spekulationen der Italiener Raffaele Fitto, Parteifreund und Europaminister der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni. Er soll nach dem Willen Ursula von der Leyens einer von sechs geschäftsführenden Vizepräsidenten der Kommission werden, zuständig für Kohäsion und Reformen. Fitto gilt als konzilianter Mann und ausgewiesener EU-Experte, seine Eignung als Kommissar stellt kaum jemand infrage. Aber wer einer postfaschistischen Partei wie den Fratelli d’Italia angehöre, dürfe keine Führungsaufgaben in der Kommission wahrnehmen, heißt es auf der linken Seite des Parlaments.

Manfred Weber, Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP), steht zu Fitto. Das EU-Gründungsmitglied Italien, so argumentiert er, müsse angemessenes Gewicht in der Kommission erhalten. Außerdem stehe der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR), der die Fratelli angehören, ein herausgehobener Posten in der Kommission zu. Die EKR gilt als gemäßigte der drei rechten Fraktionen im Parlament und verfügt über mehr Abgeordnete als die Liberalen. Eine Rolle in Webers Überlegungen spielt aber wohl auch, dass er die EKR zumindest auf Politikfeldern wie der Migration als Partner betrachtet.

Die Sozialdemokraten wollen noch Informationen sammeln

Weber erneuerte nach der Europawahl das lose Regierungsbündnis mit Sozialdemokraten und Liberalen. Für die Wiederwahl von der Leyens holte er zudem die Grünen mit an Bord. In den vergangenen Wochen versetzte er jedoch die linke Seite des Hauses in Aufruhr, als er in einigen Abstimmungen Mehrheiten mit den Fraktionen rechts der EVP bildete. Zweimal ging es um die manipulierten Wahlen in Venezuela, weshalb man in Brüssel von der „Venezuela-Mehrheit“ spricht.

Selbst in den eigenen Reihen gab es Kritik, als Weber einem Antrag aus den Reihen der AfD zur Mehrheit verhalf: Die EU solle aus ihrem Haushalt Grenzanlagen finanzieren. Das ist eine alte EVP-Forderung – aber sie stand eben in einem AfD-Antrag. Hinterher bekannte sich Weber ausdrücklich zur „Brandmauer“ gegen rechts und trat dem Vorwurf entgegen, er verfolge eine Strategie der rechten Mehrheiten.

Im Kern dreht sich der Streit um die gewachsene Macht der EVP. Sie hat nicht nur die Europawahlen gewonnen, sondern kann aufgrund nationaler Wahlerfolge ihrer Mitgliedsparteien auch 14 Kommissarinnen und Kommissare stellen. Weber findet offenbar, die Sozialdemokraten würden die neuen Machtverhältnisse nicht anerkennen. Die Sozialdemokraten wiederum finden, Weber spiele seine Macht zu sehr aus. Sie widersetzten sich Webers Plan, die Anhörungen schon im Oktober anzusetzen, um mehr Informationen über die neuen Kommissarinnen und Kommissare sammeln zu können.

Ohne Verständigung zwischen EVP und Sozialdemokraten, den beiden stärksten Fraktionen, kann es keine tragfähigen Mehrheiten im Parlament geben. Vergiftet wird die Stimmung aber offenbar vor allem von den Unverträglichkeiten zwischen spanischen Sozialisten und spanischen Konservativen. Am letzten Tag der Anhörungen dürfte es deshalb hoch hergehen: Sollte Raffaele Fitto durchfallen, könnte es auch die spanische Sozialdemokratin Teresa Ribera erwischen. Sie soll als geschäftsführende Vizepräsidentin die Wettbewerbspolitik und auch den Grünen Deal verantworten, gilt aber manchen Konservativen als Hardlinerin der Klimapolitik.

Raffaele Fitto hat vor den Anhörungen eine Art Friedensbotschaft an Sozialdemokraten und Grüne nach Brüssel geschickt. Wie alle anderen Kandidatinnen und Kandidaten auch beantwortete er vorab Fragen des Parlaments. Fitto nutzte die Gelegenheit, um auf seine christdemokratischen, proeuropäischen Wurzeln zu verweisen. Seinen Wechsel zu den Fratelli erwähnte er mit keinem Wort. Auch stellte er klar, dass er seine neue Position nicht dazu nutzen werde, dass Giorgia Melonis Regierung leichter an die Milliarden aus dem Corona-Wiederaufbaufonds kommt. Wenn die italienische Regierung nicht fristgerecht die Voraussetzungen erfülle, werde das Geld eben nicht bezahlt. In der Heimat wurde ihm das fast schon als Verrat ausgelegt. Melonis Mann für Brüssel will kein Meloni-Mann sein.

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