Europaparlament:"Ihr oder wir"

Als die konservativen EU-Abgeordneten über den Umgang mit Polen sprechen wollen, wird es laut. Der Streit verdeutlicht den Riss, der durch Europa geht.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Es ist schon spät und eigentlich sind sich über den Resolutionsentwurf, der da auf dem Tisch liegt, fast alle einig in der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP), zu der auch CDU und CSU gehören. Am nächsten Tag soll im Europäischen Parlament abgestimmt werden über eine Entschließung, die von der polnischen Regierung verlangt, europäische Werte und den Rechtsstaat zu respektieren. Da ergreift József Szájer, einer der Vize-Fraktionschefs, das Wort. Die EU solle sich nicht einmischen in die Angelegenheiten Polens, fordert der Ungar. Woraufhin, wie Anwesende berichten, den Polen im Saal der Kragen platzt.

Es kommt zu einer heftigen Auseinandersetzung, die viele schon lange erwartet hatten. Der tiefe Riss, der sich seit geraumer Zeit durch Europa zieht, geht nämlich auch durch die EVP-Fraktion, in der sich Christdemokraten, Christsoziale und Konservative sammeln. In der Fraktion sitzen elf Abgeordnete der Fidesz-Partei des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, der Spitzenvertreter der EU jüngst als "Nihilisten" und Zerstörer "des auf Nation und Christentum beruhenden Europa" beschimpft hat. Mit einem Referendum macht Orbán gerade gegen Flüchtlinge und die Mehrheitsentscheidung in der EU Stimmung, eine kleine Zahl von Schutzsuchenden über ein Quotensystem zu verteilen. In ihrer Rhetorik klingt die Fidesz-Partei schrill und zumindest für deutsche Ohren geradezu völkisch.

Orbán hat sich mit Kaczyński verbündet und eine antiliberale Achse geschaffen

Nach der Einlassung des Ungarn melden sich in der Fraktionssitzung mehrere polnische Abgeordnete zu Wort. Sie kommen aus der liberal-konservativen Bürgerplattform (PO), die sich in einem Kampf gegen die Aushöhlung von Demokratie und Rechtsstaat durch die national-konservative Partei Recht und Gerechtigkeit (Pis) des Jarosław Kaczyński sieht. Immer sei man solidarisch gewesen mit den Fidesz-Kollegen und so werde das nun entgolten, beschweren sie sich. Sauer sind die Polen, dass die Ungarn ihre Ablehnung auch noch öffentlich gemacht haben. Jarosław Wałęsa, der Sohn des einstigen Solidarność-Chefs und polnischen Präsidenten Lech Wałęsa, fordert schließlich: "ihr oder wir". Er bringt damit eine Forderung vor, die zumindest von außen schon oft an die EVP herangetragen worden ist - die Fidesz auszuschließen. Wałęsa droht, wie mehrere Teilnehmer berichten, andernfalls die Fraktion zu verlassen.

Für die EVP ist die Situation, gelinde gesagt, unangenehm. Orbán, der in der Parteienfamilie schon länger den Gegenspieler von CDU-Chefin Angela Merkel gibt, hat sich mit dem Polen Kaczyński verbündet und so etwas wie eine antiliberale Achse in der europäischen Politik geschaffen. Inhaltlich scheint ihn mit den europäischen Christdemokraten nur noch wenig zu verbinden. Die EVP, der 75 Parteien in 40 Ländern angehören, warnt in ihrem Manifest von 2012 vor der "Gefahr, dass sich Populismus und politischer Radikalismus ausbreiten". Sie bekennt sich auch zu "Eingliederung von Randgruppen und der Integration der legalen Einwanderer". Allerdings ist Orbán in der EVP nicht wirklich isoliert. 2015 hatte ihn die CSU zur Klausur nach Kloster Banz eingeladen. Viel beachtet wurde auch eine Einladung zu Helmut Kohl nach Oggersheim im April.

Auch in der Fraktion im Europäischen Parlament sind die Fidesz-Abgeordneten eigentlich keine Außenseiter. Wenn es nicht gerade um Flüchtlinge oder die angebliche "Einmischung" der EU in nationale Angelegenheiten gehe, teilen sie zumeist die Mehrheitspositionen, heißt es aus der Fraktion. Szájer ist sogar dafür zuständig, die Fraktion bei Abstimmungen zusammenzuhalten. Der Fraktionschef und CSU-Politiker Manfred Weber will auf die Ungarn überdies nicht verzichten, um nicht die weiter rechts stehenden Fraktionen in Straßburg zu stärken. Die EVP habe auch konservative Wurzeln. "Deshalb müssen wir auch Ansichten aus nationaler und konservativer Perspektive in der Partei Raum bieten", sagt er.

Über das Verhalten der Fidesz-Leute will Weber nun aber mit EVP-Chef Joseph Daul sprechen. Auf die Ungarn macht das wenig Eindruck. Neun von ihnen votierten bei der Abstimmung über die Polen-Resolution mit Nein.

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