Europäisches Parlament:Zerbrechliche Bündnisse

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Das Europäische Parlament stimmt Anfang Oktober über die neue Kommission ab. (Foto: Laurent Dubrule/dpa)
  • Im Europaparlament sind nach den jüngsten Wahlen neue Bündnisse nötig.
  • Wie viele Gemeinsamkeiten Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberale wirklich haben, muss sich erst noch zeigen.
  • Eine erste Probe dürften die Anhörungen der designierten Kommissare im Oktober sein.

Von Karoline Meta Beisel und Matthias Kolb, Brüssel

In ihrer Rede vor den EU-Abgeordneten hatte Ursula von der Leyen im Juli angekündigt, sie wünsche sich eine "stärkere Partnerschaft" mit dem Parlament. Die anschließende Wahl machte deutlich, dass die Beziehung bislang noch nicht besonders stark ist: Gerade mal neun Stimmen mehr als benötigt erhielt die CDU-Politikerin bei ihrer Wahl zur künftigen Präsidentin der EU-Kommission.

Das zeigte zum einen die Vorbehalte des Parlaments gegen eine Kandidatin, die nicht als Spitzenkandidatin bei der Europawahl angetreten war, sondern von den Staats- und Regierungschefs gekürt wurde. Das knappe Ergebnis erlaubte aber auch einen ersten Blick auf die neue Realität im Europaparlament: Weil Christ- und Sozialdemokraten erstmals zusammen keine Mehrheit haben, ist es viel schwieriger geworden, dort Beschlüsse zu fassen.

Auch im Europaparlament braucht es Koalitionen

Manfred Weber (CSU), Chef der Christdemokraten im EU-Parlament, weiß, dass das seine Arbeit verändern wird. "Wenn wir im Parlament erfolgreich sein wollen, dann müssen wir anfangen, uns als Koalition zu begreifen", sagte er, frisch aus dem Urlaub zurück, kürzlich in Brüssel. Wenn es ihn noch schmerzt, dass er sich als Spitzenkandidat der Christdemokraten im Parlament nicht durchsetzen konnte, dann merkte man ihm davon nichts an: gut gelaunt, erholt und seit Neuestem mit Bart präsentierte er sich vor Journalisten.

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Der Liberalen Vestager und dem Sozialdemokraten Timmermans hat sie eine Zusammenarbeit "auf Augenhöhe" versprochen. Auch ein Christdemokrat wird "Exekutiv-Vizepräsident".

Mit "wir" meint Weber das Trio aus Christ- und Sozialdemokraten und der liberalen Renew-Fraktion, die mit ihren Stimmen maßgebend waren für die Wahl von der Leyens. Auf deren Zusammenarbeit hofft er auch für die Zukunft. "Der erste Moment dafür ist das Votum über die künftige Kommission", sagt er. Denn ohne Zustimmung einer Mehrheit der 751 Abgeordneten kann von der Leyens Team die Arbeit nicht zum 1. November aufnehmen.

Solches Bündnisdenken ist dem Europaparlament eigentlich fremd, weil es in dem Sinne keine EU-Regierung gibt, die von einer Koalition gestellt werden würde. Natürlich haben die Parteien auch vor der Wahl zusammengearbeitet, um Gesetze zu verabschieden. Aber eben nicht so fest, wie das bei einer Regierungskoalition der Fall ist. Hört man sich bei den Sozialdemokraten um, gewinnt man nicht den Eindruck, als würde sich an diesem Vorgehen bald etwas ändern: Wenn es um den Rechtsstaat oder die Rolle des Europaparlaments gehe, werde man zusammenstehen - etwa im Juli bei dem Plan, Abgeordneten der rechtspopulistischen Fraktion "Identität und Demokratie" Schlüsselpositionen im Parlament zu versperren. Zu ihr gehören neben der AfD die italienische Lega und der Rassemblement National von Marine Le Pen. Ansonsten entscheide man von Gesetz zu Gesetz, heißt es bei den Sozialdemokraten.

Die europäischen Grünen sehen sich als "konstruktive Opposition"

Unterstützung erhofft sich Weber auch von den künftigen Exekutiv-Vizepräsidenten der Kommission: dem Sozialdemokraten Frans Timmermans und der Liberalen Margrethe Vestager. Er wünscht sich, dass sie im Parlament eine "aktivere Rolle" spielen und Einfluss auf die jeweiligen Fraktionen nehmen: "Sie könnten dabei helfen, für Gesetze die notwendigen Mehrheiten zu erreichen." Und dass von der Leyen mit dem Letten Valdis Dombrovskis kurz vor der Präsentation des Teams und zum Erstaunen vieler auch einen Christdemokraten zum Exekutiv-Vize machte, sorgt auf dieser Ebene für ein Gleichgewicht der Parteien, was Weber recht sein dürfte.

Wen er bei seinen Überlegungen nicht einplant, sind die Grünen. Deren Fraktion hatte vor der Abstimmung im Juli angekündigt, nicht für die Kandidatin zu stimmen. Die Ausgangslage sei darum klar: "Wir hatten sie eingeladen, sich unserer Gestaltungsmehrheit anzuschließen, aber sie haben sich gegen Ursula von der Leyen entschieden", sagt Weber. Er gehe aber davon aus, dass die Grünen "im Einzelfall auch konstruktiv an Bord sein" werden.

Das entspricht ziemlich genau dem, wie der grüne Co-Fraktionsvorsitzende Philippe Lamberts seine Partei in den kommenden fünf Jahren sieht, nämlich in der Rolle der "konstruktiven Opposition". Der Belgier sagt: "Wir werden jeden Gesetzesvorschlag genau prüfen und dann entscheiden." Er verweist darauf, dass von der Leyen bei der geheimen Wahl offenbar auch Stimmen von Europaskeptikern aus Polen, Ungarn oder Italien bekommen haben dürfte. "Wenn sie eine prodemokratische Mehrheit haben will, dann braucht sie unsere Stimmen", sagt Lamberts.

Nicht alle Kandidaten könnten durchkommen

Wie groß der Konsens der vier Fraktionen ist, die sich "proeuropäisch" nennen, dürfte sich im Oktober bei den Anhörungen der designierten Kommissare zeigen. Alle müssen Fragen des jeweiligen Fachausschusses beantworten, die danach der Personalie zustimmen oder sie ablehnen. Als wahrscheinlich gilt, dass der Ungar László Trócsányi durchfällt: Dass der Ex-Justizminister des autokratisch regierenden Viktor Orbán für Erweiterungspolitik zuständig sein und in dieser Funktion Länder auf dem Westbalkan zu mehr Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung anhalten soll, halten viele für inakzeptabel.

Als gesichert gilt die Zustimmung für Paolo Gentiloni , den designierten Währungskommissar und Ex-Premier Italiens. Dessen Nachfolger Giuseppe Conte äußerte in Brüssel die Hoffnung, dass Europa Italien "starke Unterstützung" leisten werde, um in eine digitale und grüne Wirtschaft zu investieren. Der Nachrichtenagentur Reuters zufolge plant seine Mitte-links-Regierung eine höhere Neuverschuldung für 2020. Das Haushaltsdefizit solle auf 2,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes steigen; für 2019 wird mit 2,04 Prozent gerechnet. Sollte die EU-Kommission erneut ein Defizitverfahren gegen Rom einleiten, wäre Gentiloni zuständig.

© SZ vom 12.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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