Europakrise:Verteidiger in eigener Sache

Jose Manuel Barroso

Jose Manuel Barroso: Kommissionspräsident kündigt Vorschläge für "politische Union" an

(Foto: dpa)

"Nicht jedes Problem erfordert eine europäische Lösung": Bei seiner letzten großen Rede vor der Europawahl lobt Kommissionschef Manuel Barroso vor allem eines: die eigene Arbeit.

Von Javier Cáceres, Brüssel

Es war allenfalls höflicher Applaus, der José Manuel Barroso entgegenschlug, als er seine Rede zur Lage der Europäischen Union beendet hatte und seinen Platz im Plenum des Europaparlaments in Straßburg suchte. Gut eine halbe Stunde lang hatte der Portugiese vom Blatt gelesen, und dabei einen Ton angeschlagen, der vom Triumphalismus so weit nicht entfernt war. Die Krise, so sagte er, sei zwar nicht überwunden. In Reichweite sei ihr Ende aber schon, "es gibt Grund zum Optimismus".

Vor einem Jahr noch habe er an gleicher Stelle gestanden und die Kommentare aller möglichen Beobachter in den Ohren gehabt, die da voraussagten, Griechenland werde aus dem Euro fliegen. Unter anderem. Und jetzt? "Es ist eine Tatsache, dass unsere Anstrengungen allmählich überzeugen", sagte er. Die Zinsaufschläge für Staatsanleihen der Krisenländer seien gesunken, Spanien erziele einen zunehmend rekordverdächtigen Außenhandelsüberschuss, Irland bediene sich wieder an den Märkten, solche Dinge. "Business as usual", oder eine "Rückkehr zur alten Normalität", wie er es auch nannte, "werde es nicht geben", sagte Barroso.

Erstens, weil die Märkte nicht auf Dauer beruhigt seien: "Wir haben gesehen, dass alles, was einen Zweifel aufkommen lässt, dass eine Regierung den Reformen verpflichtet bleibt, umgehend bestraft wird." Und zweitens, weil die Märkte nicht die einzigen seien, die einen Knüppel aus dem Sack lassen.

"Wir haben in den vergangenen Jahren immer wieder gesehen, dass die Regierungen für große Reformen abgestraft wurden", sagte Barroso. Umso flauer ist offenbar sein Magen beim Blick auf die kommenden Europawahlen. Denn dann drohe der Erfolg extremistischer und populistischer Alternativen, die "Europa" für alles Übel verantwortlich machten.

Fragen, ob Barroso denn in der gleichen Union lebe wie die Normalsterblichen

Man musste Barrosos Rede wohl auch als eine Art Verteidigungsrede in eigener Sache interpretieren - wobei er erst lebhaft wurde, als er die Brille beiseitegelegt hatte und nicht mehr vom Blatt ablas. Mit rudernden Armen versuchte er, die Kritik zu kontern, die über ihn hereinbrach wie ein Wasserfall, und kaum von seinen Parteifreunden von der Europäischen Volkspartei eingedämmt werden konnte. Der sozialdemokratischen Fraktionsvorsitzenden Hannes Swoboda hatte Barroso gleich als Erster vorgehalten, "ein halb leeres Glas ganz voll" zu sehen - und die Menschen geflissentlich übersehen zu haben.

Anders sei es kaum möglich, über den "Skandal" hinwegzugehen, dass in Ländern wie Portugal oder Spanien Kinder schon in Schulen von karitativen Einrichtungen mit Grundnahrungsmitteln versorgt werden müssen. Auch die Grüne Rebecca Harms zieh Barroso der "Schönrednerei" - und nannte es "gänzlich unerträglich", dass die Europäische Kommission unter dem Portugiesen den Umweltschutz weit nach hinten geschoben hatte.

Von den politischen Rändern des Parlaments kamen ätzende Fragen, ob er denn in der gleichen Union lebe wie die meisten Normalsterblichen - wogegen sich die durchaus spitzen Bemerkungen des belgischen Liberalen Guy Verhofstadt vergleichsweise sanft ausnahmen.

Eine "wirkliche politische Union" müsse geschaffen werden

Verhofstadt nämlich erbat eine Vision, wie die Europäische Union der Gefahr eines "japanischen Winters", also ganze Dekaden ohne sattes Wachstum, aus dem Weg gehen wolle - was Barroso aber nicht im Gepäck hatte. Stattdessen dies: Es sei weder fair noch angebracht, die Verantwortung für die Krise in den südeuropäischen Ländern der Politik der Kommission zuzuschieben, "es war die Unverantwortlichkeit der dortigen Eliten" und der Finanzmärkte in früheren Jahren, die dazu geführt habe, das nun gegengesteuert werden müsse.

Auch wenn er zugestehe, dass die Arbeitslosenquote in der Union, die sich in Spanien und Griechenland offenbar auf Jahre hinaus rund um die 25-Prozent-Marke eingependelt haben, "wirtschaftlich und politisch untragbar und sozial unakzeptabel" sei, so dürfe "nicht alles schlecht geredet" werden.

Gleichzeitig gestand Barroso auch ein, dass "nicht jedes Problem eine europäische Lösung" erfordere. Damit ging er auf die Debatten insbesondere in Ländern wie Großbritannien oder den Niederlanden ein, die Kompetenzen gerne wieder zurückverlagern wollen. Barroso ließ dafür ein grundsätzliches Verständnis anklingen. "Die EU muss groß bei großen Fragen und klein bei kleinen Fragen sein - etwas, was wir vielleicht in der Vergangenheit gelegentlich missachtet haben", sagte er.

Die EU müsse auf Menge und Qualität ihrer Gesetzgebung mehr Acht geben. Eine Renationalisierung dürfe der neue Hang zu mehr Subsidiarität aber nicht heraufbeschwören, unterstrich Barroso. Vielmehr müsse eine "wirkliche politische Union" geschaffen werden, die eine "wirkliche Währungsunion" nebst der "dringend" erforderlicher Bankenunion umfasse.

Insgesamt gelte, dass die EU ihre Ziele "nur mit mehr Integration" erreichen könne. Dies mache mittel- und langfristig Vertragsänderungen unvermeidlich. Barroso kündigte an, dass die Kommission dazu noch vor den Europawahlen, die für Mai 2014 vorgesehen sind, konkrete Vorschläge unterbreiten werde.

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