Europäischer Gerichtshof:Arbeitszeit muss genau erfasst werden

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Egal, ob im Home-Office, Außendienst oder Büro - Europas höchstes Verwaltungsgericht verpflichtet Firmen, künftig festzuhalten, wer wann arbeitet. Unternehmer halten das für unzeitgemäß.

Von Larissa Holzki, München

Durchblick im Büroalltag: Wer wann wie viel schafft, das muss auch in dieser Frankfurt Anwaltskanzlei künftig dokumentiert werden. (Foto: Michael Probst/AP)

Arbeitgeber in der EU müssen künftig die gesamte Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter systematisch erfassen. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) verpflichtet die Mitgliedstaaten, entsprechende Richtlinien einzuführen. Sie sollen dazu beitragen, dass künftig Höchstarbeitszeiten und Ruhezeiten eingehalten werden. "Die Erfassung der Arbeitszeit dient den Arbeitnehmern als Beweis für ihre Leistung und den Behörden und Gewerkschaften zur Kontrolle, ob die Arbeitszeitvorschriften eingehalten werden", sagt Inken Gallner, Vorsitzende Richterin am Bundesarbeitsgericht. Eine EU-Richtlinie schreibt vor, dass die Arbeitszeit pro Woche in der Regel nicht mehr als 48 Stunden betragen darf. Jeden Tag müssen Mitarbeiter zudem elf Stunden Ruhezeit am Stück bekommen, mindestens einmal in der Woche sind 24 Stunden Ruhe vorgeschrieben.

Das Urteil könnte große Auswirkungen auf den Arbeitsalltag in Deutschland haben. Nur in wenigen Branchen werden Arbeitszeiten bisher vollständig erfasst, etwa im Speditionsgewerbe. Andere Arbeitgeber mussten nach dem deutschen Arbeitszeitgesetz bisher nur Überstunden festhalten. Das genügt dem EuGH nicht. Ohne ein System, mit dem die tägliche Arbeitszeit eines jeden Arbeitnehmers gemessen werden kann, könne weder die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden und ihre zeitliche Verteilung noch die Zahl der Überstunden objektiv und verlässlich ermittelt werden. So sei es für Arbeitnehmer äußerst schwierig oder praktisch unmöglich, ihre Rechte durchzusetzen.

Auch Heimarbeit und Außendienst müssen nach dem Urteil künftig registriert werden, jede E-Mail und jedes berufliche Telefonat könnten aufzeichnungspflichtig werden. Wie die Arbeitszeiterfassung umgesetzt wird, ist den Mitgliedstaaten überlassen. Sie dürfen unterschiedliche Vorgaben etwa für große und kleine Unternehmen treffen. Die Möglichkeiten reichen von elektronischen Chipkarten bis zu Programmen auf dem Smartphone, in kleinen Betrieben könnten auch händische Aufzeichnungen eine Alternative sein. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sagte, vor möglichen Gesetzesänderungen wolle er das Gespräch mit Gewerkschaften und Arbeitgebern suchen, "damit wir das Richtige tun und nicht übers Ziel hinausschießen".

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) lobte das Urteil: "Das Gericht schiebt der Flatrate-Arbeit einen Riegel vor - richtig so", sagte Annelie Buntenbach, Mitglied des DGB-Bundesvorstands. Die Rechte der Beschäftigten blieben "viel zu oft auf der Strecke". Arbeitgeber sehen das Urteil hingegen kritisch: "Die Entscheidung des EuGH zur Arbeitszeiterfassung wirkt wie aus der Zeit gefallen", heißt es vom Bund der Arbeitgeber: "Wir sind gegen die generelle Wiedereinführung der Stechuhr im 21. Jahrhundert. Auf die Anforderungen der Arbeitswelt 4.0 kann man nicht mit einer Arbeitszeiterfassung 1.0 reagieren."

© SZ vom 15.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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