Süddeutsche Zeitung

Europäische Zentralbank:Kontrolle muss sein

Mario Draghi hat die Krise im Euro-Raum bisher gut gemeistert - aber ein Hang zur Anmaßung ist bei der EZB unverkennbar. Der Europäische Gerichtshof sollte ihr engere Grenzen setzen.

Von Wolfgang Janisch

Manchmal ist es eben sehr viel einfacher, ein Prinzip zu formulieren, als dieses Prinzip dann auch anzuwenden. 2015 hatte der Europäische Gerichtshof entschieden, dass die Europäische Zentralbank unter richterlicher Kontrolle steht. Ein Grundsatzurteil, ausgelöst durch eine Klage von Klägern wie Peter Gauweiler, vorangetrieben von einem Bundesverfassungsgericht, dem die Selbstherrlichkeit eines Mario Draghi suspekt war. Der hatte auf dem Höhepunkt der Schuldenkrise den notfalls unbegrenzten Ankauf von Staatsanleihen versprochen. Das angekündigte Programm war in Ordnung, fanden die Gerichte - aber sie zogen rechtliche Leitplanken ein.

Doch das war nur der einfache Teil der Aufgabe. Nun, 2018, geht es um das aktuelle Kaufprogramm der EZB. Wieder haben Gauweiler und andere geklagt, erneut hat das Bundesverfassungsgericht den EU-Gerichtshof angerufen - mit dem ausdrücklichen Vorhalt, die EZB maße sich letztlich wirtschaftspolitische Zuständigkeiten an. Und die Frage wirkt mit einem Mal sehr kompliziert: Wie intensiv darf so eine richterliche Kontrolle sein?

Der Generalanwalt plädiert für größtmögliche Zurückhaltung. Das ist als Grundansatz nicht ganz verkehrt. Richter müssen die ökonomische Expertise der EZB respektieren. Sie müssen sich auf eine Rüge offenkundiger Rechtsverstöße beschränken und können nicht in geldpolitische Feinheiten einsteigen. Dennoch ist der Vorschlag des Generalanwalts zu mutlos ausgefallen, und es ist zu hoffen, dass der Europäische Gerichtshof darüber hinausgeht.

Denn es geht um weit mehr als um die Feinabstimmung zwischen währungspolitischer Freiheit und juristischer Kontrolle. Es gilt, die mächtige, über schier unerschöpfliche Geldressourcen verfügende EZB in ein europäisches System von Checks and Balances einzufügen.

Das ist ein ziemlich anspruchsvolles Unterfangen, weil die EZB - in diesem Punkt einem Gericht ähnlich - einerseits eine unabhängige Institution sein muss, die keinerlei politischen Begehrlichkeiten unterworfen sein darf. Andererseits kann auch eine Zentralbank nicht im rechtsfreien Raum agieren. Sie ist an Regeln gebunden, und wo Regeln sind, muss auch jemand sein, der über deren Einhaltung wacht. Wo dieser Ordnungsmechanismus fehlt, neigen Institutionen dazu, sich neue Zuständigkeiten anzumaßen. Das lässt sich an der immer selbstbewusster auch wirtschaftspolitisch agierenden EZB während der Krise im Euro-Raum sehr gut beobachten. Eine gewisse Anfälligkeit für Allmachtsfantasien ist nicht zu übersehen.

Gewiss, bisher ist alles gutgegangen, sowohl mit Draghis damaligem Zauberwort "unbegrenzt" als auch mit dem aktuellen, zweieinhalb Billionen Euro umfassenden Programm. Abschließend wird man das freilich erst bewerten können, wenn man weiß, ob der Ausstieg aus der Ära des billigen Geldes wirklich gelingt.

Ökonomische Logik und rechtliche Grenzen müssen in eine Balance gebracht werden. Nein, Gerichte sollen und können nicht entscheiden, wie man die EU am besten durch die Finanzkrise steuert. Aber ja, sie müssen darauf dringen, dass sich die EZB an die Regeln hält, sprich: an ihr währungspolitisches Mandat. Denn dieser Auftrag, formuliert in den EU-Verträgen, ist der einzige demokratische Anker, der die EZB mit Europas Bevölkerung verbindet. Wenn die Ankerkette reißt, dann gerät der Supertanker EZB außer Kontrolle.

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Quelle:
SZ vom 05.10.2018
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