Europäische Zentralbank:Draghis Verantwortung

Lesezeit: 3 min

Irgendwie funktioniert die Geldpolitik der Währungshüter ja. Und sie dient einem anerkannt guten Zweck. Aber was sie machen, das ist gleich doppelt riskant.

Von Marc Beise

Auch eine Nicht-Entscheidung kann spannend sein, jedenfalls wenn es um die höchste Instanz in Europa für das Geld geht. Nur auf den ersten Blick hat die Europäische Zentralbank am Donnerstag alles beim Alten gelassen. Der Leitzins bei null, das umstrittene Anleihenkaufprogramm nicht über März 2017 hinaus verlängert - so lautet der Beschluss. Schaut man genauer hin, finden sich in der Begründung alle Ingredienzen, die Kritiker der lockeren Geldpolitik frösteln lassen. Denn die Botschaft hinter der Nachricht lautet sinngemäß: Wir halten inne, aber wir kehren nicht um. Wir können noch viel mehr Geld in die Welt pumpen, und wir werden es bei Bedarf tun.

Damit bleibt die EZB auf dem Kurs, den ihr Präsident Mario Draghi gelegt hat. Es ist ein Kurs, den viele Menschen in Deutschland ablehnen, der stärksten und wichtigsten Volkswirtschaft der Union. Dass Draghi trotzdem kaum Protest entgegenschlägt, dafür kann er sich bei Angela Merkel bedanken. Hätte sie nicht das Flüchtlingsthema an sich und auf sich gezogen und dabei eine zunehmend einsame Position eingenommen, würden die Wogen der öffentlichen Erregung nicht ans Berliner Kanzleramt branden, sondern an den EZB-Tower in Frankfurt. Denn der EZB-Präsident mutet den Deutschen mindestens so viel zu wie Merkel.

Noch reden in Deutschland alle nur über die Kanzlerin. Noch

Die EZB hat die Euro-Staaten mit einer ungeheuren Menge Geldes überschwemmt. Sie hat eine ganze Reihe bisher beispielloser Maßnahmen ergriffen, hart an der Grenze ihrer Zuständigkeit, womöglich darüber hinaus: die Leitzinsen auf null Prozent gesenkt, Strafzinsen verhängt, Staatsanleihen für mehr als eine Billion Euro gekauft. Neuerdings greift sie auch bei Unternehmensanleihen zu, und manche erwarten, dass sie sogar Aktien vom Markt fischen wird.

All das dient einem anerkannt guten Zweck: Die Preise sollen steigen, die Wirtschaft soll angekurbelt werden. Das Gegenteil, eine schrumpfende Wirtschaft und fallende Preise, wäre verheerend. Und seit der Finanzkrise 2008 und der folgenden Wirtschaftskrise ist die Lage zu labil, um eine solche Entwicklung ausschließen zu können. Inmitten dieser Turbulenzen hat Draghi sich verdient gemacht, vor allem mit seinem berühmten Wort im Juni 2012, man werde die Gemeinschaftswährung retten, "mit allem, was dafür nötig ist". Das hat funktioniert. Was er seitdem tut, funktioniert auch - insofern, als dass es zu keinen neuen Schocks gekommen ist. Aber es ist ein gefährlicher Weg. Denn er setzt den Markt für Kapitalzinsen außer Kraft. Wenn selbst die so überaus solide zehnjährige Bundesanleihe keine Zinsen mehr bringt, ist das absurd und hebt bisherige Regeln auf, wie Geld arbeitet und wohin es strömt.

Darunter leiden, zugegeben, nicht alle. Wer gerade ein Haus finanzieren muss, kann sich freuen; überhaupt jeder, der sich verschulden will. Aber die Deutschen sind ein Volk von Sparern, sind gewohnt, fürs Alter vorzusorgen. Sie haben Guthaben, nicht Schulden. Dafür wollen sie Zinsen. Jetzt erleben sie, wie ihre Lebensplanung implodiert, wie ihr Geld allmählich verdunstet; manche macht das panisch.

Damit ist die EZB-Politik doppelt riskant. Sie bringt sich selbst in eine Situation, aus der sie womöglich den Ausweg nicht mehr findet; der Schock, wenn die EZB einmal das Geld wieder verknappt, wird die Märkte erschüttern. Und sie zerstört das Vertrauen der Bürger und Unternehmen, jedenfalls in Deutschland.

Noch reden hier alle über die Kanzlerin, die Flüchtlinge und die AfD. Aber die Protestpartei ist, das sollte nicht vergessen werden, wegen des Euro und wegen Draghi gegründet worden. Die Stimmung ist so aufgeregt, dass die Bürger sich daran wieder erinnern könnten. Dann verfangen womöglich die erbärmlich-dummen Parolen von AfD-Scharfmachern, wonach Draghi wahlweise ein Agent der Italiener, der Südländer oder gleich der internationalen Hochfinanz ist.

Draghi und Merkel sind beide Überzeugungstäter, mit einem wesentlichen Unterschied: Merkel muss ihre Politik vom Wähler bestätigen lassen, Draghi nicht. Er kann seine Politik des Überflusses ungeniert betreiben, weil er beliebig viel Geld drucken kann. Deshalb hat er eine noch größere Verantwortung als ein Politiker, das eigene Tun zu überdenken.

Die EZB muss dringend umkehren, muss die Anleihenkäufe reduzieren, den Zinsen wieder einen Wert geben. Am Donnerstag hat Draghi kein solches Signal gegeben, im Gegenteil. Doch die Zeit eilt - auch weil in Deutschland 2017 gewählt wird. Das Schlimmste, was der Notenbank passieren kann, wäre, dass sie in den Wahlkampf hineingezogen wird. Kaum etwas ist so wichtig für einen Staat wie das Vertrauen der Menschen in die Hüter des Geldes.

© SZ vom 09.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: