Süddeutsche Zeitung

Europäische Zentralbank:Draghi flutet Märkte mit neuen Milliarden

Krise in Italien, heikle Wahlen in mehreren EU-Staaten: Die EZB verlängert ihre Radikalkur für die Wirtschaft bis Ende nächsten Jahres. Auf absehbare Zeit bleibt es bei Nullzinsen.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Die Europäische Zentralbank hat ihr umstrittenes Anleihekaufprogramm um neun Monate bis Dezember 2017 verlängert. Dadurch fließen zusätzlich 540 Milliarden Euro in die Finanzwirtschaft. "Es herrscht überall Unsicherheit", sagte EZB-Präsident Mario Draghi am Donnerstag mit Blick auf die Entscheidung der Briten, die EU zu verlassen, die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten und den Rücktritt von Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi. Draghi will die Märkte beruhigen. "Die EZB wird noch für eine sehr lange Zeit an den Finanzmärkten präsent sein."

Die Währungshüter sind beunruhigt angesichts der nächstes Jahr in Europa anstehenden Wahlen. Deren Ergebnisse könnten dazu führen, dass neue Regierungen auf Wirtschaftsreformen verzichten, welche die EZB für dringend nötig hält. Im März 2017 wählen die Bürger in den Niederlanden, im Mai steht die Präsidentenwahl in Frankreich und im Herbst die Bundestagswahl an. "Eine Zentralbank muss in einer solchen Situation die lockere Geldpolitik fortsetzen", sagte Draghi.

Damit geht die Niedrigzinsphase in Europa auf unbestimmte Zeit weiter. Pensionskassen und Versicherungen erwirtschaften dadurch immer geringere Erträge für die Sparer, was die Vorsorgepläne einer ganzen Generation gefährden kann. Gleichzeitig geraten Europas Banken unter Druck. Bei einem Leitzins von null Prozent lässt sich nur schwer Geld verdienen.

Besonders der italienische Bankensektor kämpft ums Überleben. So braucht die italienische Krisenbank Monte dei Paschi dringend frisches Kapital. Die Verhandlungen laufen seit Wochen. Die Bank hat nun die EZB-Bankenaufsicht wegen der innenpolitischen Unruhe um eine Fristverlängerung bis zum 20. Januar gebeten. Ursprünglich sollte der Rettungsplan bis Ende Dezember umgesetzt sein. Die italienischen Banken leiden unter faulen Krediten im Wert von 360 Milliarden Euro. Diese Belastung hemmt die Kreditvergabe an die schwache italienische Wirtschaft.

Durch die Verlängerung des im März 2017 auslaufenden Kaufprogramms wird die EZB bis Ende nächsten Jahres insgesamt 2,2 Billionen Euro in die Finanzwirtschaft gepumpt haben. Für den Fall, dass es 2017 zu Unruhe an den Börsen käme, würde der EZB-Rat "das Programm noch erweitern". Der Ausstieg der Notenbank aus der lockeren Geldpolitik scheint in weiter Ferne. "Wir haben das nicht diskutiert, und es lag auch nicht auf dem Tisch", sagte Draghi. Allerdings wird die EZB von März 2017 an den Umfang der monatlichen Anleihekäufe von 80 auf 60 Milliarden Euro reduzieren. Einige Beobachter sehen darin zumindest einen ersten kleinen Schritt in Richtung Ausstieg. Die Börsen nahmen die Entscheidung der EZB positiv auf, die Märkte mögen frisches Notenbankgeld. Der deutsche Aktienindex Dax stieg erstmals in diesem Jahr über 11 000 Punkte.

Es ist gut möglich, dass Aktienkurse und Immobilienpreise durch die Entscheidung der EZB weiter steigen. Menschen, die sich diese Investitionen leisten können, profitieren davon stärker als andere. Die Ungleichverteilung der Vermögen in Deutschland könnte zunehmen.

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SZ vom 09.12.2016
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