Süddeutsche Zeitung

Europäische Volkspartei:Orbán wirft Weber Beleidigung des ungarischen Volkes vor

Kurz nach einer Verurteilung seiner Fidesz-Partei provoziert Ungarns Ministerpräsident per Interview. Er attackiert CSU-Vize Weber und schwärmt von den CDU-Größen Kohl, Merkel - und von der Leyen.

Von Matthias Kolb, Brüssel

Es wird nicht verraten, wann Viktor Orbán sich per Video von der Welt am Sonntag interviewen ließ. Klar scheint aber, dass Ungarns Ministerpräsident die Lage nicht beruhigen will, nachdem die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) im EU-Parlament am Mittwoch seinem Vertrauten Tamas Deutsch das Rederecht entzogen und die ungarische Regierungspartei Fidesz verurteilt hatte. Die Christdemokraten klagen, dass "die häufigen Angriffe von Fidesz-Vertretern auf die Europäische Union und ihre Werte nicht vereinbar mit den Kernüberzeugungen der EVP" seien.

Der Parteichef von Fidesz heißt Viktor Orbán und er vergleicht nun im Zeitungsinterview die EU mit der Sowjetunion. "Früher hat das Zentralkomitee in Moskau ideologische Positionen vorgegeben. Wer sich nicht dran hielt, wurde unter Druck gesetzt", sagt er und behauptet, man stünde "kurz" vor einer solchen Situation. Nachdem Deutsch EVP-Fraktionschef Manfred Weber mit der Gestapo in Verbindung gebracht hat, legt Orbán auch mit den Attacken auf den CSU-Politiker nach.

"Eine der goldenen Regeln aus jedem Lehrbuch der Autokraten"

Er wirft Weber, dem Spitzenkandidaten der EVP bei der Europawahl 2019, vor, die Ungarn für "Europäer zweiter Klasse" zu halten. Orbán stellt Webers im Wahlkampf geäußerte Kritik an der Fidesz-Regierung, die seit Jahren den Rechtsstaat demontiert und unabhängige Medien gängelt, als Herabwürdigung seiner Landsleute dar: "Es ging nicht um mich. Sondern um eine Beleidigung des ungarischen Volkes." Für Dennis Radtke sind diese Aussagen "typisch" für Orbán und "eine der goldenen Regeln aus jedem Lehrbuch der Autokraten".

Radtke ist der einzige der 29 Europaabgeordneten von CDU und CSU, der offen einen Ausschluss von Fidesz aus der EVP fordert. Dort ist die Mitgliedschaft seit März 2019 suspendiert, in der Fraktion durften die zwölf Fidesz-Parlamentarier jedoch bleiben. Als größte Delegation haben die Deutschen enormen Einfluss, und es lag am Druck aus Berlin, namentlich von Kanzleramt und CDU-Zentrale, dass der Fidesz-Mann Deutsch nicht ausgeschlossen wurde. Auf SZ-Anfrage wollte Weber Orbáns jüngste Provokation nicht kommentieren. Für Daniel Caspary, den Chef der CDU-Europagruppe, macht das Interview "erneut deutlich, dass sich EVP-Chef Donald Tusk und die Vorsitzenden der EVP-Parteien endlich um das Thema kümmern müssen."

Für Andrzej Halicki, den Leiter der 17-köpfigen polnischen Delegation in der EVP-Fraktion, ist die "Scheidung" von Fidesz unabwendbar. Durch die "inakzeptablen Vergleiche" zeige Orbán, dass er kein Interesse an einem "starken Europa" habe, so Halicki, Mitglied der polnischen Partei Bürgerplattform, der auch EVP-Chef Tusk angehört. Die Fraktion müsse im Januar, wie von Weber zugesichert, ihre Geschäftsordnung ändern, um Delegationen ausschließen zu können. Markus Ferber, der seit 1994 für die CSU im EU-Parlament sitzt, nennt es "traurig", dass Orbán nicht verstehen könne, "worum es im Kern geht: Können wir gemeinsam die Zukunft für die Menschen in Europa gestalten oder werden wir Spielball in der Hand politischer Kräfte außerhalb Europas?" Anstatt die EU "als Gegner" zu sehen, sollte Orbán endlich einsehen, "dass ein Land wie Ungarn nur im europäischen Verbund seine Identität bewahren kann", sagt Ferber, der auch die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung leitet.

Auch das allerletzte Friedensangebot scheint den Mann in Budapest nicht zu interessieren

Der Ungar gibt sich im Interview staatsmännisch und nennt Altkanzler Gerhard Schröder einen "aufrechten, ehrlichen Mann". Über einen anderen Altkanzler sagt er: "Wenn ich einen Disput mit Helmut Kohl hatte, war das, als säße ich mit meinem Großvater am Familientisch." Weber hingegen sei für ihn am Tisch der Familie "schwer vorstellbar". Ursula von der Leyen, die ihr Amt als Chefin der EU-Kommission ohne die Fidesz-Europaabgeordneten nicht hätte, nennt er "eine mutige, hochgebildete Dame aus gutem Hause mit politischer Erfahrung an vorderster Front".

Dem EU-Parlament, das auf einen strengen Rechtsstaatsmechanismus zum Schutz des EU-Haushalts beharrte, wirft zudem Orbán vor, "rechtswidrig" gehandelt zu haben. Nur der "geniale" Vorschlag von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe die Lage geklärt, behauptet er. Auch durch diese Aussage deutet Orbán an, dass ihn das allerletzte Friedensangebot nicht wirklich interessiert. Denn Merkel hat wie die anderen EVP-Regierungschefs das neue Instrument verteidigt - und die EVP-Europaabgeordenten sprechen von einer "historischen Einigung, auf die wir stolz sein sollten".

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