Europäische Union:"Überzeugte Herzenseuropäerin"

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Annegret Kramp-Karrenbauer, hier beim CDU-Parteitag in Hamburg im Dezember, will kämpfen für ein „Europa, das Hoffnung macht“. (Foto: Markus Schreiber/picture alliance/AP Photo)

Bei ihrem ersten Auftritt in Brüssel ruft CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer zu mehr Einigkeit in der EU auf.

Von Matthias Kolb, Brüssel

Die Neugierde ist groß auf den Gast aus dem Saarland. Intensiv hat das politische Brüssel den Kampf um die Nachfolge von Angela Merkel an der CDU-Spitze verfolgt, denn schließlich ging es hier um die mögliche nächste Regierungschefin des einflussreichsten EU-Landes. Dass sich in Annegret Kramp-Karrenbauer jene Kandidatin durchsetzte, die den bisherigen Kurs am ehesten fortsetzen würde, wurde im Machtzentrum der EU mit Erleichterung aufgenommen. Auch das Kürzel AKK hat sich hier schon etabliert.

Als die neue CDU-Chefin bei ihrem ersten Auftritt in Brüssel am Dienstagabend ans Rednerpult tritt, beginnt sie mit einem Scherz: Dass CDU und CSU nach all dem Streit des vergangenen Jahres nun mit einem gemeinsamen Spitzenkandidaten in den Wahlkampf ziehen, sei ein weiterer Grund, warum "Europa für mich ein Friedensprojekt ist". Solche Worte freuen vor allem den CSU-Politiker Manfred Weber, der als Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei Jean-Claude Juncker nachfolgen will und den Abend quasi als Vorband eröffnet hatte. Er hört auch eine Aussage des Gasts aus Berlin, die ihn im Brüsseler Machtpoker stärken wird. "Es darf keinen Zweifel daran geben, dass nur derjenige Präsident der EU-Kommission werden kann, der Spitzenkandidat war", sagt Kramp-Karrenbauer. Sie werde diese "demokratische Errungenschaft" verteidigen. Dass vor vierzig Jahren die ersten Wahlen fürs Europaparlament stattfanden, ist einer von mehreren Jahrestagen, auf die sich die "überzeugte Herzenseuropäerin und Überzeugungstäterin" in ihrer Rede bezieht. Bis zum Wahltag am 26. Mai will sie kämpfen für ein "Europa, das Hoffnung macht und Maßstäbe setzt". Die EU müsse geschlossen agieren, um nicht zum "Spielball" zwischen China, Russland und den USA zu werden: "Der Wohlstand wird nicht mehr bei uns generiert, deswegen müssen wir uns besser aufstellen, um nicht zur verlängerten Werkbank zu werden". Angesichts des Neins der EU-Kommission zur Fusion der Zughersteller Siemens und Alstom fordert sie wie Wirtschaftsminister Peter Altmaier eine Reform des EU-Wettbewerbsrechts.

Im Wahlkampf will Kramp-Karrenbauer auf die Themen Sicherheit und Migration setzen. Der Umgang mit Zuwanderung werde eine der wichtigsten Herausforderungen bleiben, sagt die CDU-Chefin und fordert einen besseren Schutz der EU-Außengrenzen: "Der Schengenraum ist Grundlage des Binnenmarkts und damit Grundlage unseres Wohlstands. Um Schengen nach innen offen zu halten, muss es nach außen sicher sein." Dazu gehört für Kramp-Karrenbauer auch eine gemeinsame Verteidigungspolitik, zu der "irgendwann auch eine europäische Armee" gehören müsse. Diese werde nationale Armeen nicht ersetzen, sondern diese ergänzen und etwa für europäische Interessen eingesetzt werden. Sie warnt davor, angesichts der wirtschaftlich engen Verpflichtungen davon auszugehen, dass es in Europa immer Frieden geben werde - diese Überzeugung habe es direkt vor dem Ersten Weltkrieg auch gegeben.

Die europäischen Grenzregionen sollen zu Testlabors mit viel Spielraum werden

Angesichts des 100. Jahrestags der Ausarbeitung der Weimarer Verfassung fordert Kramp-Karrenbauer die Bürger auf, Demokratie und den Gedanken der europäischen Integration vehement gegen Populisten zu verteidigen. Im Umgang mit Osteuropa will sie die Auseinandersetzung über "kritische Entwicklungen" wie den Rückbau des Rechtsstaats in Ungarn und Polen nicht scheuen, aber im 30. Jahr des Mauerfalls fordert die CDU-Chefin weniger Überheblichkeit: "Ohne Solidarność, ohne Papst Johannes Paul II. und ohne ungarische Grenzöffnungen hätten wir die deutsche Einheit so nicht erreicht. Dafür gebührt den Osteuropäern unser Dank, das sollten wir nicht vergessen."

In historischer Perspektive, sagt Kramp-Karrenbauer, gehöre heute vergleichsweise wenig Mut dazu, sich für das Friedensprojekt Europa einzusetzen. Mutig seien jene Menschen gewesen, die vor 30 Jahren in der DDR für Demokratie auf die Straßen gegangen seien und Prügel und Gefängnis riskierten. Und besonders mutig seien jene französischen Politiker gewesen, die nach zwei verheerenden Weltkriegen bereit waren, dem Erzfeind Deutschland die Hand zu reichen und den "Kreislauf aus Gewalt und Krieg" zu durchbrechen.

Ihr gefalle der Spruch des belgischen Politikers Karl-Heinz Lambertz, der Europa mit einer Patchwork-Decke verglichen habe: "Deren Qualität entscheidet sich eben nicht an der Qualität der einzelnen Flecken, sondern an der Qualität der Nähte." Diese Nähte seien die Grenzregionen, die nach dem Wunsch von Kramp-Karrenbauer zu europäischen Testlabors mit viel Spielraum werden sollen, um neue Ansätze und praktische Ideen "unabhängig vom nationalen Recht" ausprobieren zu können.

© SZ vom 07.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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