Süddeutsche Zeitung

Europäische Union:Streit über die Spitze

EU-Ratspräsident Donald Tusk stellt das Verfahren bei der Europawahl infrage. Kommissionschef Jean-Claude Juncker spricht sich dafür aus, auch bei der kommenden Wahl die Spitzenkandidaten der Parteienfamilien zu akzeptieren.

Von Alexander Mühlauer, Brüssel

In der Europäischen Union ist ein Streit entbrannt, der die mächtigsten Institutionen der Gemeinschaft zu spalten droht. Es geht um die Frage: Darf nur derjenige Kommissionspräsident werden, der bei der nächsten Europawahl als Spitzenkandidat einer europäischen Parteienfamilie antritt? Oder haben die Staats- und Regierungschefs doch das letzte Wort? Donald Tusk hatte dazu bislang geschwiegen. Doch nun stellt der EU-Ratspräsident die Haltung von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und des Europäischen Parlaments infrage, die sich eindeutig für die Beibehaltung des Spitzenkandidaten-Verfahrens ausgesprochen haben.

Im Entwurf seines Einladungsschreibens zum informellen EU-Gipfel in der kommenden Woche wird deutlich, dass Tusk eine Wiederholung des bei der Europawahl 2014 erstmals praktizierten Prinzips für bedenklich hält. Sollte der nächste EU-Kommissionschef erneut mit diesem Verfahren bestimmt werden, wäre die Auswahl für die Staats- und Regierungschefs "in Bezug auf andere Nominierungen begrenzter", schreibt Tusk. Es sei zwar "nicht die Aufgabe des Europäischen Rates darüber zu entscheiden, wie sich die europäischen Parteien für die Europawahlen aufstellen". Die Frage sei vielmehr, "wie der Europäische Rat vorhat, mit seiner eigenen Entscheidung umzugehen, einen Kandidaten für den Kommissionspräsidenten vorzuschlagen."

Tusk stellt den Staats- und Regierungschefs deshalb eine Frage: "Sollte der Europäische Rat automatisch das Ergebnis eines ,Spitzenkandidaten'-Prozesses akzeptieren oder sollte der Europäische Rat (...) autonom entscheiden, wie man die Wahlen berücksichtigt?" Das EU-Parlament hatte davor gewarnt, dass es jeden Bewerber, der nicht als Spitzenkandidat bei der Europawahl antrete, ablehnen werde. Gemäß EU-Vertrag schlägt der Europäische Rat einen Kandidaten für den Kommissionschef vor - und zwar "unter Berücksichtigung der Wahlen zum Europäischen Parlament". Dieser solle dann von der Volksvertretung gewählt werden. Kommissionspräsident Juncker hatte bereits davor gewarnt, dass die EU-Staaten den "winzigen Demokratiefortschritt" des Spitzenkandidaten-Prozesses wieder abschaffen könnten: "Die Gefahr ist groß."

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Quelle:
SZ vom 17.02.2018
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