Europäische Union:Kritik an deutscher Dominanz in Brüssel

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Martin Schulz soll Präsident des Europaparlaments werden - doch viele EU-Ämter sind bereits mit Deutschen besetzt. (Foto: Thomas Peter/Reuters)

Drei deutsche Fraktionschefs in Brüssel, der Chef der Investitionsbank, der Chef des Euro-Rettungsfonds: Viele EU-Spitzenämter sind mit Deutschen besetzt. Vor der Wahl von Martin Schulz zum Parlamentspräsidenten wird deshalb Unmut laut.

Von Cerstin Gammelin, Straßburg

Auf der Agenda der Liberalen im Europaparlament stehen am Montagabend diverse Personalien, darunter eine besonders heikle: Der deutsche SPD-Politiker Martin Schulz will sich am nächsten Tag erneut zum Präsidenten der EU-Volksvertretung wählen lassen. Für eine sichere Mehrheit in geheimer Abstimmung braucht er die Liberalen. "Wir gehen davon aus, dass es im ersten Wahlgang klappt", gibt man sich im deutschen Umfeld von Schulz siegessicher. "Sie unterschätzen das Risiko für Schulz", sagt dagegen die Französin Silvie Goulard aus dem Führungsteam der Liberalen. Wer die Liberalen im Boot haben wolle, müsse deren Chef Guy Verhofstadt "zum Teil der Führungsmannschaft" machen.

An der Wiederwahl von Schulz hat sich ein seit langem schwelender Nationalitäten-Streit neu entzündet: EU-Diplomaten wie Parlamentarier kritisieren, dass einflussreiche Jobs in nationalen Hauptstädten ausgekungelt und besonders oft an deutsche Bewerber vergeben werden. Die Europäische Investitionsbank, weltweit größter Geldverleiher, wird von Werner Hoyer geleitet; der Euro-Rettungsfonds ESM von Klaus Regling. In Uwe Corsepius hat der Ministerrat der Europäischen Union einen deutscher Generalsekretär. Der Präsident des Europäischen Rates, Herman Van Rompuy, ist zwar Belgier, wurde aber 2009 mittels einer Allianz von Angela Merkel und Nicolas Sarkozy durchgesetzt.

Der designierte Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, ist zwar Luxemburger. Aber auch er kam nur mit ausdrücklicher Unterstützung der CDU und von Merkel in seine Position. Und Martin Selmayr (CDU) ist im Gespräch als künftiger Kabinettschef Junckers. Für einige Mitgliedsländer geht vor allem der CDU-Einfluss in Europas mächtigem Gesetzgebungsorgan zu weit. EU-Diplomaten hätten in kleineren Runden Bedenken zu Protokoll gegeben, erzählen Beteiligte. "Das ist ein Phänomen, das wir seit langem beobachten", sagt die Französin Goulard. Und: "Zu viel Nationalismus ist nicht gesund."

Drei Parlamentsfraktionen haben schon deutsche Chefs

Dass sie am Tag vor der Schulz-Wahl offen Kritik übt, hat damit zu tun, dass sie sich selbst nicht um ein Spitzenamt bewirbt und deshalb keine Rücksicht nehmen muss. Sie werde sich "auf die Notsituation der Franzosen in Europa konzentrieren", sagt Goulard, also gegen den Einfluss des rechtsextremen Front National kämpfen. Ihr Heimatland sei so sehr mit sich selbst beschäftigt, "dass sich keine Spitzenleute mehr für Brüssel bewerben".

Dabei ist die scheinbare Dominanz der Deutschen in europäischen Spitzenämtern nicht nur guter Personalarbeit aus Berlin zuzuschreiben, sondern auch der Schwäche in anderen Mitgliedstaaten. In Großbritannien bewirbt sich angesichts der europakritischen Stimmung kein Spitzenpolitiker für ein hohes Amt in Europa. Wobei andererseits ein Brite in einem europäischen Top-Job kaum durchzusetzen wäre - zu vielen Kollegen geht die fundamentale Kritik aus dem Vereinigten Königreich auf die Nerven.

Italien war durch die Regierung von Silvio Berlusconi und danach durch rasch wechselnde Premierminister gelähmt. In Mario Draghi steht zudem ein Italiener an der Spitze der Europäischen Zentralbank - da ist ein zweiter wichtiger Posten kaum noch drin. In Frankreich sind die etablierten Parteien mit sich selbst beschäftigt. Die konservative UMP ringt nach diversen Skandalen mit der Auflösung, die Sozialisten haben in der Regierung dramatisch an Zustimmung verloren. Verglichen mit den Ländern gilt Deutschland geradezu als Hort politischer Stabilität - was sich über die Jahre auch in der Besetzung von Ämtern niedergeschlagen hat.

Im Europaparlament ist der Ärger darüber zu spüren, dass die große Koalition in Berlin sich darauf geeinigt hat, den SPD-Politiker Schulz wieder für das Amt des Parlamentspräsidenten zu benennen. "Ein Hinterzimmerdeal", kritisiert der Grüne Sven Giegold. Das Parlament werde sich nicht vorschreiben lassen, wen es zu wählen habe. Im Falle der Wahl von Schulz wäre das Parlament für die nächsten zweieinhalb Jahre von deutschen Persönlichkeiten geprägt: Generalsekretär Klaus Welle (CDU) bleibt im Amt, die größte Fraktion führt Manfred Weber (CSU), auch Grüne und Linke haben deutsche Vorsitzende. Guy Verhofstadt, Spitzenkandidat der Liberalen, ist offensichtlich fest entschlossen, die Stimmen seiner Fraktion nur gegen einen Spitzenjob herzugeben. Ob er mit dem vorerst letzten Angebot, einem Sitz als Vizepräsident und einem zusätzlichen Ausschuss-Chefposten zufrieden ist, wird sich Dienstag zeigen.

© SZ vom 01.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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