Europäische Union:So soll das Corona-Hilfspaket funktionieren

FILE PHOTO: The President of European Commission Ursula von der Leyen holds a news conference on the European Union response to the coronavirus disease (COVID-19) crisis at the EU headquarters in Brussels

Erste Andeutungen, wie der Sieben-Jahres-Haushalt der EU unter Corona-Bedingungen von 2021 bis 2027 aussehen soll: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

(Foto: REUTERS)

Regierungen bekommen wohl nur dann Hilfe, wenn sie sich zu Reformen verpflichten. Ein großes Problem sind die Reisebeschränkungen.

Von Björn Finke, Brüssel

Der Entwurf verschiebt sich, aber es werden mehr Details bekannt: Die EU-Kommission kündigte nun an, erst am 27. Mai einen neuen Vorschlag für den Sieben-Jahres-Haushalt der Union von 2021 bis 2027 vorzulegen - inklusive des kontroversen Corona-Hilfspakets.

Ursprünglich war dies für Anfang Mai geplant gewesen, doch zu viele Details sind zwischen den Regierungen umstritten, etwa die Größe des EU-Unterstützungstopfs und die Frage, ob er vor allem Zuschüsse oder bloß günstige Darlehen an klamme Mitgliedstaaten auszahlt.

Aber immerhin umriss Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in dieser Woche vor dem Europäischen Parlament, wie dieses sogenannte Wiederaufbauinstrument aussehen soll. Zu Streitpunkten wie dem Volumen äußerte sie sich freilich nicht. Es ist bereits das zweite Corona-Hilfspaket der EU; auf das erste einigten sich die Staats- und Regierungschefs im April. Es umfasst unter anderem zinsgünstige Darlehen an Mitgliedstaaten.

Das zweite Paket soll größer ausfallen - und es soll mit dem EU-Haushalt verflochten werden. Von der Leyen versprach den Abgeordneten, dass die Mittel aus dem neuen Corona-Topf über EU-Programme an Mitgliedstaaten und Firmen fließen sollen.

Dies bedeutet, dass das Europaparlament über die Verwendung mitentscheiden kann. Genau das haben die Abgeordneten am Freitag in einem Beschluss gefordert, den das Parlament mit breiter Mehrheit annahm.

Wiederaufbauprogramm mit drei Säulen

Zur Finanzierung sagte von der Leyen im EU-Parlament, dass die Kommission Anleihen ausgeben will, für die Mitgliedstaaten garantieren sollen. Sie erläuterte zudem, dass das Wiederaufbauprogramm drei Säulen haben werde: Erstens sollen viele Milliarden an Regierungen fließen, zweitens soll Kommissionsgeld Anreize setzen für Investitionen in Unternehmen, und drittens sollen einige EU-Programme aufgestockt werden, etwa zur Forschungsförderung oder für den Aufbau von Reserven an medizinischer Ausrüstung.

Aus dem Umfeld der Kommission heißt es, dass auf die erste Säule das meiste Geld entfallen solle: Etwa 80 Prozent der Mittel würden Regierungen zur Verfügung gestellt, zehn bis 15 Prozent seien für Firmen, und der kleine Rest diene EU-Initiativen zugunsten von Forschung und Katastrophenschutz.

Regierungen ignorieren freundliche Vorschläge aus Brüssel

Beim dicken Batzen für Staaten würden wiederum 90 Prozent für ein neues Programm genutzt, das Regierungen bei Investitionen und Reformen unterstützen soll.

Die EU-Kommission gibt ohnehin regelmäßig Empfehlungen ab, wie Regierungen mit Reformen ihre Wirtschaft voranbringen können. Dieses Verfahren heißt "Europäisches Semester". Allerdings ignorieren Hauptstädte genauso regelmäßig die freundlichen Vorschläge aus Brüssel. Das neue Programm soll Staaten mit Geld aus dem Corona-Hilfspaket belohnen, wenn sie die angemahnten Reformen umsetzen. "Das Europäische Semester wäre dann kein zahnloses Instrument mehr", sagt ein Insider.

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Die restlichen Mittel aus der ersten Säule will die Kommission verwenden, um die Strukturfonds aufzustocken, also die Hilfstöpfe für benachteiligte Regionen. Von der Aufstockung sollen besonders jene Länder profitieren, deren Wirtschaft am schlimmsten unter der Pandemie leidet, etwa Italien.

Neue Finanzquellen

Der Sieben-Jahres-Haushalt der EU würde dann aus zwei Teilen bestehen: den üblichen Teil, der vor allem aus Beiträgen der Mitgliedstaaten finanziert wird, und dem Wiederaufbau-Topf, den die Kommission mit den Erlösen langlaufender Anleihen füllen will. Die würden über die kommenden Jahrzehnte zurückgezahlt.

Die Kommission will anregen, dass die Mitgliedstaaten ihr für den Schuldendienst neue Finanzquellen erschließen; diskutiert wird zum Beispiel über eine Abgabe auf unrecycelten Plastikmüll. Wie es heißt, soll der neue Kommissions-Entwurf für den normalen Haushaltsrahmen nicht sehr von den Vorschlägen abweichen, die zuletzt debattiert worden sind.Im Februar konnten sich die Staats- und Regierungschefs bei einem Gipfel nicht auf einen Etatrahmen für die sieben Jahre einigen. Der Vorschlag, der auf dem Tisch lag, sah ein Volumen von insgesamt etwas über einer Billion Euro vor.

Die Größe des Wiederaufbauinstruments ist weiter umstritten, genau wie die Aufteilung zwischen Zuschüssen und Darlehen. Nordeuropäische Regierungen halten nichts von der Idee, dass die Kommission Schulden aufnimmt und das Geld dann als Zuschuss an klamme Staaten überweist. Südeuropäische Regierungen und auch Frankreich argumentieren hingegen, dass nur Zuschüsse sinnvoll seien, denn Schulden hätten Staaten wie Italien und Spanien schon mehr als genug.

Eine dritte Gruppe bilden osteuropäische Länder, die bislang nicht so stark von der Pandemie betroffen sind. Sie sträuben sich dagegen, dass Mittel von der Regional- und Agrarförderung umgeschichtet werden zu Corona-Hilfen.

Noch kein Konsens bei wichtigen Streitfragen

Die Kommission hofft, dass bei ihrem Vorschlag für jeden etwas dabei ist: Dass Corona-Hilfen für Regierungen nicht einfach so fließen, sondern an Reformen geknüpft sind, soll die Nordeuropäer besänftigen. Die Südeuropäer sollen sich darüber freuen, dass es Zuschüsse gibt, und die Osteuropäer darüber, dass der Wiederaufbau-Topf die Mittel für die Regionalförderung aufstockt.

Allerdings heißt es in der Kommission, dass es noch keinen Konsens bei den wichtigen Streitfragen gebe - das ist ein Grund dafür, dass sich die Vorstellung des Entwurfs verzögert. Offenbar hat von der Leyen das Konzept auch noch nicht sämtlichen Staats- und Regierungschefs am Telefon vorgestellt. Das soll in den kommenden Tagen geschehen.

In der Behörde geht man davon aus, dass sich die Staats- und Regierungschefs auf Sieben-Jahres-Haushalt und Wiederaufbau-Topf nur bei einem echten Gipfeltreffen in Brüssel einigen können, nicht bei Videoschaltungen. Doch wann Reisen und persönliche Gespräche wieder möglich sind, ist unklar - manche hoffen auf Juni.

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