Europäische Union:Herr Kommissar, erläutern Sie

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"Frei von der Leber weg": Wenn Günter Oettinger öffentlich spricht, sind nachher nicht immer alle glücklich. (Foto: Virginia Mayo/AP)

Eigentlich ist Günther Oettingers Beförderung zum Vizechef der EU-Kommission ausgemacht. Er muss sich aber noch ein paar unangenehmen Fragen stellen. Denn zuletzt bot er Angriffsflächen in Übergröße.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Eigentlich müsste sich das neue Jahr für Günther Oettinger gut anlassen. Am 1. Januar um null Uhr wird seine Beförderung wirksam. Oettinger ist dann einer der Vizepräsidenten der EU-Kommission, zuständig für die wichtigen Ressorts Haushalt und Personal. Einem kräftigen Machtzuwachs für den langjährigen und auch bisher schon einflussreichen EU-Kommissar aus Schwaben steht dann eigentlich nichts mehr im Wege. Eigentlich.

Denn am 9. Januar um 18 Uhr hat Oettinger noch einen Termin in Raum 3C050 des EU-Parlaments in Brüssel. Auf der Tagesordnung steht eine "Aussprache" mit den Ausschüssen für Haushalt, Haushaltskontrolle und Recht. Und schon jetzt steht fest: Oettinger muss sich auf einiges gefasst machen.

Das hat im Wesentlichen zwei Gründe. Zum einen bot Oettinger zuletzt Angriffsflächen in Übergröße. Er musste sich für Äußerungen entschuldigen, die als rassistisch und homophob kritisiert worden waren. Und er musste einen Flug im Privatjet eines kremlnahen Lobbyisten erklären. Hinzu kommt aber die stürmische Großwetterlage im Parlament.

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Im Kampf um die Nachfolge von Martin Schulz als Parlamentspräsident ist die inoffizielle große Koalition aus christdemokratischer Europäischer Volkspartei (EVP) und Sozialdemokraten (S&D) in die Brüche gegangen. Der EVP-Mann Antonio Tajani und der S&D-Kandidat Gianni Pittella treten gegeneinander an, um Parlamentspräsident zu werden. Genau acht Tage vor diesem großen Showdown in Straßburg muss Oettinger sich seiner Aussprache stellen.

Schon dem Katalog schriftlicher Fragen ist zu entnehmen, dass der CDU-Politiker nicht geschont werden wird. Breiten Raum nimmt eine Rede ein, die Oettinger am 26. Oktober vor Unternehmern in Hamburg gehalten hat. Darin bezeichnete er Chinesen als "Schlitzaugen" und machte sich über eine "Homo-Pflichtehe" lustig.

Wofür Oettinger sich rechtfertigen soll

Der "Herr Kommissar" möge erläutern, wie er angesichts "implizit diskriminierender Bemerkungen über Chinesen, Frauen und LGBTI-Personen" als Zuständiger für Personal in der Kommission für Vielfalt sorgen "und seine Glaubwürdigkeit diesbezüglich wiedererlangen" wolle. Und ob er, lautet eine Frage, "an Fremdenfeindlichkeit grenzende Kommentare" für einen "konstruktiven Beitrag zur Verhandlungsposition der EU" mit China halte.

Fragen haben die Abgeordneten auch zu einem Flug Oettingers von Brüssel nach Budapest am 18. Mai. Der Digital-Kommissar war in die private Maschine von Klaus Mangold gestiegen. Der frühere Chef des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft ist russischer Honorarkonsul für Baden-Württemberg und unterhält exzellente Kontakte in den Kreml.

Ob der Flug im Einklang stehe mit dem Höchstwert von 150 Euro für Geschenke, den Kommissare einhalten müssen, darüber soll Oettinger Auskunft geben. Hinterfragt wird auch die Darstellung der EU-Kommission, dass es sich bei dem Flug mit Mangold nicht um ein anmeldepflichtiges Treffen mit einem Lobbyisten gehandelt habe, sondern lediglich um eine von der ungarischen Regierung zur Verfügung gestellte Reisemöglichkeit zu einem Treffen mit Ministerpräsident Viktor Orbán.

Rechtfertigen soll sich Oettinger auch für eine angebliche besondere Nähe zu Industrie-Lobbyisten. "Ganz eindeutig" führe er die Liste der Kommissionsmitglieder an, wenn es um die Häufigkeit von Begegnungen mit Wirtschaftsvertretern gehe. Von den 336 gemeldeten Treffen Oettingers seit Dezember 2014 hätten mehr als 270 mit Vertretern der Wirtschaft stattgefunden. In weniger als zehn Prozent der Fälle seien Abgesandte von Nichtregierungsorganisationen zum Digitalkommissar vorgelassen worden.

Aus der Anzahl von Treffen lasse "sich in keiner Weise ein besonderer Einfluss im Entscheidungsfindungsprozess der Kommission ablesen", rechtfertigt sich Oettinger in seinen schon vorliegenden schriftlichen Antworten. Er erfülle seine Pflicht "in voller Unabhängigkeit im allgemeinen Interesse" der EU.

Formell entscheidet Juncker

Oettinger wiederholt auch noch einmal seine Entschuldigung für seine Hamburger Äußerungen, von denen er schon zuvor gesagt hatte, sie seien "frei von der Leber weg" gefallen. Er "bedaure sehr, dass Worte, die ich während meiner Rede benutzt habe, Menschen verletzt haben könnten. Das war nicht meine Absicht."

Er glaube, dass Vielfalt eine Stärke und ein zentraler Wert der EU sei. Auch die Verhandlungen mit China seien durch seine Bemerkungen nicht beeinträchtigt worden. Ein Fehlverhalten im Zusammenhang mit dem Budapest-Flug verneint Oettinger ebenfalls. Er habe keine Regeln verletzt.

Unter normalen Umständen müsste der Kommissar kaum befürchten, dass seine Antworten nicht genügen. Angesichts der aufgeheizten Stimmung im Parlament muss er aber damit rechnen, nicht nur von Grünen, Linken oder EU-Gegnern hart angegangen zu werden. Auch die Sozialdemokraten haben keinen Grund, den Deutschen zu schonen.

Formell entscheiden die Abgeordneten zwar nicht über seine Zukunft, da Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker lediglich Aufgaben neu verteilt. Ein misslungener Auftritt würde Oettinger dennoch unter Druck bringen. Im Raum stünde dann die Frage, ob Juncker ihm wirklich eine zentrale Machtstellung übertragen sollte.

© SZ vom 30.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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