Europäische Union:Gleiche Stadt, gleiche Haltung, neues Büro

Donald Tusk

Keine Mehrheit für "radikale Maßnahmen": Donald Tusk, Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei.

(Foto: Darko Vojinovic/dpa)

Der ehemalige EU-Ratspräsident Donald Tusk übt nun als EVP-Chef Kritik an Ungarn und Polen.

Von Björn Finke, Brüssel

Die Regale in seinem Büro sind noch recht leer. "Es ist erst mein zweiter Tag hier", sagt Donald Tusk entschuldigend. Der Pole hat fünf Jahre lang als Präsident des Europäischen Rats die EU-Gipfeltreffen geleitet. Dieses Amt gab er ab, stattdessen ist der frühere Premierminister nun Vorsitzender der EVP, der europäischen Vereinigung der christdemokratischen Parteien. Darum empfängt der 62-Jährige jetzt in der Brüsseler EVP-Zentrale. Seine erste schwierige Entscheidung als Chef der Parteienfamilie wird nicht lange auf sich warten lassen: Die EVP, die im Europaparlament die stärkste Fraktion stellt, erwägt, Fidesz auszuschließen, die nationalkonservative Regierungspartei des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán.

Tusk sagt, er werde im Februar "eine eindeutige Empfehlung" aussprechen, ob Fidesz weiter der Europäischen Volkspartei EVP angehören soll. Bis Weihnachten wird eine Expertengruppe einen Bericht darüber vorlegen, wie gravierend die Missstände bei Rechtsstaatlichkeit und demokratischen Prinzipien in Ungarn sind. Der Parteivorsitzende sagt, es wäre "unfair", seine Meinung kundzutun, bevor der Report fertig ist: "Aber ich habe sehr klare Ansichten." Fidesz und Orbán müssten den Willen erkennen lassen, Dinge zum Besseren zu ändern. Orbán habe erklärt, "dass sein wichtigstes Ziel ist, die liberale Demokratie abzulösen und ein neues Demokratiemodell aufzubauen. Für mich ist das eine rote Linie". Eine liberale Demokratie gehöre zu den Grundwerten von Europas Christdemokraten. "Orbán muss entscheiden, ob er Teil dieses Wertekosmos sein will oder nicht", sagt Tusk.

Als Präsident des Europäischen Rats hat der Pole oft seine Hoffnung geäußert, dass Großbritannien den EU-Austritt doch noch abbläst. Tusk sagt nun, das Brexit-Referendum überhaupt anzusetzen, sei "einer der spektakulärsten Fehler in der Geschichte der EU" gewesen. Er wünscht sich weiterhin, dass die Briten an Bord bleiben. Manche Skeptiker befürchten hingegen, dass solch eine Wende der EU schaden würde. Schließlich könnte sich ein gespaltenes und zerstrittenes Großbritannien als sehr schwieriges Mitglied erweisen; eine schwache britische Regierung könnte wichtige Entscheidungen blockieren.

Tusk ficht das nicht an. "Es wird immer besser sein, sie bei uns zu haben", sagt er. "Und wenn es um Blockaden geht, haben wir mehr Probleme mit unseren Mitgliedstaaten auf dem Festland." Zumindest habe der "schmerzvolle" Austrittsprozess dazu geführt, dass in keinem anderen Mitgliedstaat ernsthaft über eine Trennung nachgedacht werde: "Die Gefahr, dass Staaten austreten wollen, existiert nicht mehr. Die Gefahr liegt heute vielmehr darin, wie Regierungen die EU behandeln." Dies sei die größte Bedrohung. "Länder, die ich sehr gut kenne, wollen Teil der EU sein, weil die öffentliche Meinung das möchte und sie Vorteile haben, aber zugleich wollen sie unsere Werte nicht ernst nehmen." Als Beispiele nennt er neben Ungarn sein Heimatland Polen.

Tusk kritisiert auch den französischen Präsidenten Emmanuel Macron für dessen Äußerungen zum Verteidigungsbündnis Nato, zu den Beziehungen mit Russland und zur Erweiterung der EU. "Wir sind wirklich gute Freunde geworden, und er ist ein Hoffnungsträger für die Zukunft Europas", sagt Tusk. Doch wenn Macron Europa anführen wolle, "brauchen wir einen Politiker, der sich stärker für die EU als Ganzes verantwortlich fühlt und nicht nur für Frankreich". Dies sei "immer der größte Pluspunkt" von Bundeskanzlerin Angela Merkel gewesen, lobt der frühere Ratspräsident: "Sie war stets bereit, an ganz Europa zu denken und manche nationalen Interessen zu opfern, um Europa als Ganzes zu schützen."

Als schwersten Moment seiner fünf Jahre als Ratspräsident bezeichnet er die Flüchtlingskrise. Merkels Ansatz, die Flüchtlinge willkommen zu heißen, sei "moralisch absolut richtig" gewesen, habe aber als "Einladung" gewirkt. Zugleich hätten sich die Regierungen damals zu wenig der Frage gewidmet, wie die Außengrenzen Europas sicherer zu machen sind: "Wir müssen die richtige Balance finden zwischen dem Schutz unserer Grenzen" und der "Offenheit und Freiheit", für die der Kontinent stehe, sagt Tusk.

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