Europäische Union:Gedenken an Armenier

Anlässlich des 100. Jahrestages des Massenmordes an den Armeniern spricht das EU-Parlament von einem Genozid und beruft sich auf den "Geist europäischer Solidarität".

Von Daniel Brössler, Brüssel

Nach Papst Franziskus hat auch das Europäische Parlament den 100. Jahrestag des Massenmords an Armeniern zum Anlass genommen, das Ereignis als Genozid zu brandmarken. Man schließe sich dem Gedenken an "eineinhalb Millionen unschuldigen armenischen Opfern an, die im Osmanischen Reich umgekommen sind", heißt es in einer Entschließung, auf die sich die Fraktionen verständigt haben und die Mittwochabend in Brüssel angenommen wurde.

Man gedenke des "armenischen Genozids im Geist europäischer Solidarität" und fordere auch EU-Kommission und Europäischen Rat dazu auf. Die Entschließung wendet sich damit nicht nur gegen die türkische Weigerung, den Völkermord an den Armeniern als solchen anzuerkennen, sondern auch gegen die Haltung einer Reihe von EU-Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, die ebenfalls davor zurückschrecken.

Bereits 1987 hatte das Europäische Parlament die Verfolgung der Armenier im Osmanischen Reich zwischen 1915 und 1917 als Genozid eingestuft. Die Türkei wendet sich vehement gegen die Verwendung dieses Begriffs und hat schon im Vorfeld mit Spott auf die neuerliche europäische Entschließung reagiert. "Für die Türkei ist es niemals möglich, eine solche Sünde, eine solche Schuld anzuerkennen", sagte der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan am Mittwoch in Ankara nach Angaben der Nachrichtenagentur Anadolu. Mit Verweis auf das EU-Parlament sagte er: "Welche Entscheidung es auch trifft, sie wird zum einem Ohr rein- und zum anderen rausgehen", sagte er. Papst Franziskus hatte er zuvor davor gewarnt, einen solchen "Unsinn" zu wiederholen.

Gaucks Statement

Bundespräsident Joachim Gauck ist ein Freund des deutlichen Wortes, und wenn er kommende Woche an einem Gottesdienst teilnimmt, der an den Genozid an den Armeniern vor 100 Jahren erinnert, ist Ärger höchstwahrscheinlich. Der Titel der Andacht heißt: "Völkermord an Armeniern, Aramäern und Pontos-Griechen". Dass der Bundespräsident eine Veranstaltung mit der umstrittenen Vokabel "Völkermord" besucht, ist für sich genommen schon ein Statement. Dass er nach der Messe auch noch eine kurze Ansprache halten möchte, dürfte Missvergnügen in Ankara verursachen. Schon im vergangenen Frühjahr legte Gauck sich mit dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdoğan an, weil er demokratische Defizite in der Türkei kritisierte. Mahnt er nun auch noch aufrichtigere Geschichtsschreibung in Sachen Armenier an, dürfte das den Graben vertiefen. Inwieweit der Bundespräsident in seiner Rede auch deutsche Schuld thematisieren und ob er das Wort "Völkermord" verwenden wird, ist nicht bekannt. Tut er es, entfernt er sich auch von der Linie der Bundesregierung. Sie will kommende Woche im Bundestag der Ermordung der Armenier gedenken, hat das Wort "Völkermord" aus einem Antrag aber nachträglich streichen lassen, aus diplomatischer Rücksicht auf die Türkei. Aus den Fraktionen von Union und SPD kommt nun Protest: Von einem Nato-Partner könne ehrliche Aufarbeitung erwartet werden. Constanze von Bullion

Der stellvertretende Vorsitzende der Sozialdemokraten im EU-Parlament, Knut Fleckenstein (SPD), forderte die Bundesrepublik auf, dem Brüsseler Beispiel zu folgen. "Insbesondere als Deutsche und in dem Bewusstsein, dass das Deutsche Kaiserreich Verbündeter des Osmanischen Reichs war, wissen wir, dass die Aufarbeitung der eigenen Geschichte eine Grundlage für eine respektvolle und vertrauenswürdige internationale Zusammenarbeit ist", sagte er. Dabei gehe "es nicht um Schuldzuweisungen an die heutige politische Führung, sehr wohl aber um die Übernahme von Verantwortung". Die Entschließung des EU-Parlaments wendet sich gegen die Leugnung von Völkermorden, enthält aber auch versöhnliche Signale in Richtung Ankara. So wird ausdrücklich als "Schritt in die richtige Richtung" begrüßt, dass Erdoğan und der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu ihr Bedauern über die Gewalt geäußert haben, die Armeniern angetan worden ist. Die Türkei ist EU-Beitrittskandidat; die Verhandlungen stecken allerdings seit geraumer Zeit fest. Die EU beklagt erhebliche rechtsstaatliche Defizite in der Türkei.

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