Süddeutsche Zeitung

Europäische Union:Für Europa geht es 2017 um alles

  • 2017 fallen wichtige Entscheidungen, die Europas Zukunft betreffen.
  • In Deutschland, Frankreich und den Niederlanden wird gewählt. In allen drei Ländern haben europafeindliche Parteien gute Chancen.
  • Auch eine neue Finanzkrise könnte der EU schaden.

Von Lilith Volkert

Was war, politisch gesehen, das Gute am vergangenen Jahr? Zyniker haben sich die Antwort darauf schon zurecht gelegt. Im kommenden Dezember, wenn sich 2017 dem Ende neigt, wird man sagen können: Im Vergleich dazu war 2016 doch gar nicht so schlimm.

Wer der Idee eines vereinten Europas anhängt, hat ein schweres Jahr hinter sich. 2016 haben die Briten für den Brexit gestimmt. Bei der US-Wahl konnte sich der unberechenbare Europa-Feind Donald Trump als Präsident durchsetzen. Die Italiener haben eine Verfassungsreform abgelehnt und mit Ex-Premier Matteo Renzi den letzten ernstzunehmenden Reformer des Landes abserviert. Terroranschläge in Frankreich und Deutschland stärkten die Feinde eines Europas ohne Grenzen.

Bei jeder Wahl wird auch über Europa abgestimmt

Viele Menschen blicken mit großer Sorge ins neue Jahr: Europas Kampf gegen die Populisten geht 2017 in die nächste Runde, manche sagen, es sei die entscheidende. Gewinnen die Rechtsextremen, sei die Union am Ende. Außerdem droht der EU eine neue Finanzkrise, das Vertrauen der Europäer in Europa zerbröselt. Bei manchen Prognosen schwingt Endzeitstimmung mit.

Tatsächlich stehen politische Weichenstellungen in wichtigen Ländern an: In Deutschland, Frankreich und den Niederlanden werden neue Parlamente und Staatsoberhäupter gewählt - und bei jeder Wahl wird auch über die EU abgestimmt. Mit der Alternative für Deutschland (AfD), dem Front National und der Partij voor de Vrijheid haben in allen drei Ländern europafeindliche Parteien gute Erfolgschancen.

Schneidet die AfD bei der Bundestagswahl gut ab, dürfte das jede Koalitionsbildung erschweren und die Gräben in der Gesellschaft vertiefen. Die französische Rechtsextreme Marine Le Pen wird - glaubt man Umfragen - spätestens in der Stichwahl scheitern. Sollte sie aber tatsächlich Präsidentin werden, wird sie alles daran setzen, dass Frankreich, eine der beiden europäischen Führungsmächte, den Euro abschafft und die EU verlässt. Ähnliches droht in den Niederlanden: Auch wenn der Populist Geert Wilders im Falle eines Sieges wohl nicht Premier wird, weil niemand mit ihm koalieren will, so könnte seine Wahl doch zu einem Referendum über einen EU-Austritt führen. Für Europa wären sowohl Frexit als auch Nexit eine Katastrophe.

In Italien droht die nächste Euro-Krise

Und auch die wirtschaftlichen Aussichten sind alles andere als gut. Das einzige, was zuverlässig wächst, sind die Schuldenberge, in Italien droht die nächste Euro-Krise. Verlieren die Finanzmärkte das Vertrauen in das Land, dürfte Italiens Staatsverschuldung von 2,2 Billionen Euro den europäischen Rettungsfonds ESM überfordern. Auch in Griechenland und Portugal bahnen sich neue finanzielle Schwierigkeiten an. Und im Gegensatz zur letzten Finanzkrise fehlen Regierungen und Notenbanken die Mittel, um bei einer Eskalation entgegenzuhalten.

Außerdem stehen Europa harte Debatten bevor: 2017 beginnen die Scheidungsverhandlungen mit Großbritannien. In Brüssel wird dann darum gerungen, wann genau und unter welchen Bedingungen das Land aus der Union ausscheidet und wie die Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden danach aussehen sollen. Die eine Seite wird der anderen nichts schenken: Während die Briten aus innenpolitischen Gründen hart verhandeln werden, möchte man in Brüssel mögliche Nachahmer abschrecken.

Und das sind nur die schon bekannten Ereignisse. Weitere Anschläge, eine neue Flüchtlingskrise im Sommer, diplomatische Verwicklungen mit der Türkei oder den USA unter Donald Trump sind realistische Szenarien. Für Europa geht es 2017 um viel, wenn nicht um alles.

Da hilft es sich zu erinnern, dass auch 2016 nicht alles schief ging, was hätte schief gehen können. Vor der Wiederholung der Bundespräsidentenwahl in Österreich etwa rechneten viele mit einem Sieg des rechtspopulistischen FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer. Stattdessen gewann der ehemalige Grüne Alexander Van der Bellen nach einem betont europafreundlichen Wahlkampf - und zwar deutlicher als bei der ersten Wahl im Mai. Auch wenn es sich zum Jahreswechsel so schön gruseln lässt: Es gibt keinen Automatismus des Niedergangs.

Wenn das Krisenjahr 2016 etwas Gutes hatte, dann das: Die Erwartungen an 2017 sind so niedrig, dass viele Menschen schon glücklich sind, wenn es nicht so schlimm kommt wie befürchtet.

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