Europäische Union:Fake News - echte Strategie

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Hoffen auf Rettung aus dem Osten: Putin-Fans auf einer AfD-Kundgebung in Erfurt im März 2016. (Foto: Jens Meyer/AP)

"Niemand ist mehr Angriffen ausgesetzt als Angela Merkel": Eine Arbeitsgruppe der EU sammelt und entkräftet Fake News aus Russland. In den Lügen stecken oft Hinweise auf kommende Bedrohungen.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Es ist ein düsterer Ort, an dem selbst die Kinder nichts mehr zu lachen haben. Alles ist strengen Regeln der politischen Korrektheit unterworfen, bis hin zur Errichtung von Schneemännern. Wer einen weißen Schneemann baut, muss auch einen in Gelb und Schwarz daneben setzen. Verstöße werden als Rassismus verfolgt und mit einer Strafe in Höhe von 5000 Euro belegt.

Die Nato vollendet außerdem gerade ihre Kriegsvorbereitungen gegen Russland, und Journalisten wird verboten, über die wahren Hintergründe des Abschusses von Flug MH17 über der Ostukraine zu berichten. Dieser Ort ist die Europäische Union, so wie sie sich einem kleinen Team im Auswärtigen Dienst der EU Tag für Tag präsentiert.

Die "East Strat Com Task Force" mit derzeit elf Mitarbeitern setzt Puzzlestücke zusammen, die das Gesamtbild einer von Russland aus gesteuerten Desinformationskampagne ergeben. Der Auftrag dafür stammt direkt von den Staats- und Regierungschefs. Beim Gipfel im März 2015 hatten sie beschlossen, "Russlands laufenden Desinformationskampagnen entgegenzuwirken".

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Seit September 2015 sammeln und widerlegen die Experten Berichte aus russischen Staatsmedien und Agenturen ebenso wie aus obskuren Nachrichtenportalen, die über soziale Netzwerke EU-weit weiterverbreitet werden. Wer sich für die Fakten interessiert, kann sie der wöchentlichen per Mail verschickten "Disinformation Review" entnehmen.

2500 Falschmeldungen in 18 Sprachen hat sich die Truppe mit Unterstützung eines Netzwerks von 400 Helfern bislang vorgenommen. Dabei hat sie, wie ein Insider sagt, ein eindeutiges Muster ausgemacht. "Niemand ist mehr Angriffen ausgesetzt als Angela Merkel", sagt er. Die Einschätzung der Anti-Fake-News-Truppe deckt sich mit den Sorgen in Berlin: Vor der Bundestagswahl im Herbst dürften sich die Falschmelder auf Deutschland und Merkel konzentrieren.

Merkel im Fokus

Auch das Europäische Parlament sieht die EU einer "Unterwanderungskampagne" vonseiten Russlands ausgesetzt. Ziel sei es, heißt es in einer Resolution vom November, "die EU-Zusammenarbeit und die Souveränität, politische Unabhängigkeit und territoriale Unversehrtheit der Union und ihrer Mitgliedstaaten zu schwächen".

Wenn das so ist, gerät Merkel fast automatisch in den Fokus. Sie ist nicht nur langjährige Regierungschefin des größten EU-Staates, sondern wird vielfach als so etwas wie die Anführerin der liberalen Welt gesehen. Indirekt bestätigt sich das auch durch das Zerrbild, das die Desinformationsfabriken von ihr zeichnen: Da steckt sie sogar hinter den Terroranschlägen von Paris und Brüssel, wovon angeblich Selfies der Kanzlerin mit den Attentätern zeugen.

Die Absurdität vieler Vorwürfe passt nach Einschätzung der EU-Experten durchaus ins Konzept. Ziel sei nicht, das Publikum von einer Sichtweise zu überzeugen, sondern Konfusion auszulösen. Die Desinformationskampagnen ergänzten dabei in aller Regel präzise die Ziele der russischen Politik in der realen Welt.

Nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets durch das türkische Militär seien Berichte über die angeblichen Machenschaften und terroristischen Verstrickungen von Präsident Recep Tayyip Erdoğan und seiner Familie angeschwollen. Nach Erdoğans Versöhnung mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin habe das schlagartig aufgehört.

Auch im Fall der Ukraine lesen die EU-Experten an der Intensität der Propaganda ab, ob der Kreml die militärische Lage im Donbass gerade eskalieren oder entspannen lassen will. Wenn man die Fake News aufmerksam analysiere, funktioniere das wie ein Frühwarnsystem: Man sehe Bedrohungen kommen. Gegenpropaganda wolle die EU aber nicht betreiben, sondern nur Falschmeldungen richtigstellen.

Mehr Personal, aber keine eigenes Geld

Ginge es nach den Abgeordneten des Europäischen Parlaments, müsste die EU allerdings deutlich mehr tun, um auf die Bedrohungen zu reagieren, die von einem Apparat ausgehen, der in Russland als Teil der militärischen Infrastruktur gesehen wird und mit enormen finanziellen Mitteln ausgestattet ist. Die Task Force solle ein vollwertiges Referat innerhalb des Auswärtigen Dienstes werden, forderten die Abgeordneten, und mit "angemessenen finanziellen und personellen Ressourcen ausgestattet" werden, um sowohl Desinformation aus dem Osten als auch der aus dem Süden mit Absender "Islamischer Staat" begegnen zu können.

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Bei den Mitgliedstaaten und in der EU-Kommission stieß dies auf taube Ohren. Eigene Haushaltsmittel bekommt die Truppe keine. Eine personelle Verstärkung soll es zwar geben, allerdings nur, um sich auch um islamistische Fake News kümmern zu können.

"Das ist ein sehr kleines Team für eine sehr große Aufgabe", beklagt Jakub Janda von der Prager Denkfabrik "Europäische Werte", die sich intensiv mit aus Russland gesteuerter Desinformation beschäftigt. Er verweist darauf, dass zu Jahresbeginn allein Tschechien im Innenministerium 20 Experten auf das Thema angesetzt hat. Für die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini aber habe die Sache keine Priorität. Ein Team wie das in Tschechien müsse es überdies in allen EU-Hauptstädten geben, fordert Janda. In Berlin sei man sich dessen, so glaubt er, mittlerweile bewusst.

© SZ vom 25.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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