Süddeutsche Zeitung

Europäische Union:Wie die EU Albanien und Nordmazedonien enttäuschte

  • Wegen eines Vetos des französischen Präsidenten Macron verweigert die EU Nordmazedonien und Albanien die Aufnahme von Beitrittsgesprächen.
  • Der scheidende EU-Kommissionspräsident Juncker spricht von "einem historischen Fehler".
  • Alle sechs beitrittswilligen Staaten des Westbalkans werden durch die Entscheidung zurückgeworfen.

Von Peter Münch, Wien

Zuerst die gute Nachricht: Der Reiseführerverlag Lonely Planet hat Nordmazedonien bei seiner jährlichen Empfehlung für die besten Reiseziele der Welt gerade auf den dritten Platz gesetzt, hinter Bhutan und England. Gerühmt wird vor allem die Schönheit der Natur.

Doch diese feine Auszeichnung, die Perspektiven für den Tourismus eröffnet, wird kaum den Schmerz und die Wut über die schlechte Nachricht lindern, die das Land zuvor auf dem Brüsseler EU-Gipfel ereilt hat. Wegen eines Vetos des französischen Präsidenten Emmanuel Macron verweigert die Europäische Union Nordmazedonien ebenso wie Albanien die Aufnahme von Beitrittsgesprächen. Dies ist eindeutig ein Wortbruch, und das ist schlimm genug. Schlimmer aber noch ist, dass diese politische Kurzsichtigkeit weitreichende Folgen haben könnte - nicht nur für das kleine und landschaftlich ach so schöne Nordmazedonien, sondern für den gesamten Balkan und die Stabilität in Europa.

"Ein historischer Fehler" - das ist die durchaus zutreffende Wortwahl, auf die sich viele Kritiker dieses Vorgangs geeinigt haben. Jean-Claude Juncker hat das so gesagt, der scheidende EU-Kommissionspräsident. Der bisherige Erweiterungskommissar Johannes Hahn nennt die Auswirkungen "katastrophal", und auch aus dem EU-Parlament dröhnt lauter Protest. Die erste Konsequenz hat bereits Nordmazedoniens westorientierter Regierungschef Zoran Zaev gezogen, der sich über eine "große Ungerechtigkeit" echauffierte. Er hat nach der Brüsseler Abfuhr eine Neuwahl für den 12. April angesetzt, bei der er sich nun gegen die Nationalisten im Land behaupten muss.

Die Enttäuschung in Nordmazedonien ist leicht nachvollziehbar, weil das Land alle von der EU geforderten Vorleistungen erbracht hat. Der seit 2017 regierende Sozialdemokrat Zaev hat innenpolitisch nicht nur Reformen angestoßen, sondern gegen massiven Widerstand der Opposition sogar eine Änderung des Landesnamens von Mazedonien in Nordmazedonien durchgesetzt. Dies hatte das EU-Mitglied Griechenland verlangt zur Abgrenzung von der griechischen Region Makedonien. Auch in Albanien hat die Regierung, wie von der EU verlangt, eine Justizreform auf den Weg gebracht.

Frankreich begründet seine Blockade, die im Fall Albaniens auch von Dänemark und den Niederlanden unterstützt wurde, dennoch damit, dass die Reformen nicht weit genug gediehen seien. Niemand wird leugnen, dass es tatsächlich noch viele Defizite gibt. Doch zu entscheiden war zum jetzigen Zeitpunkt wohlgemerkt nicht über eine EU-Aufnahme, sondern allein über den Beginn langwieriger Beitrittsverhandlungen. Die EU-Kommission hat beiden Ländern längst bescheinigt, dafür die Bedingungen erfüllt zu haben.

Macron aber hat die EU nun auf einen Kurs gezwungen, der Hoffnungen, Motivationen und Perspektiven zerstört. Alle sechs beitrittswilligen Staaten des Westbalkans werden dadurch zurückgeworfen. Neben Nordmazedonien und Albanien sind das noch Serbien und Montenegro, die bereits mit der EU über einen Beitritt verhandeln, sowie Kosovo und Bosnien-Herzegowina, die davon noch weit entfernt sind. Alle lernen sie aus dem jüngsten Signal aus Brüssel, dass die EU ihre Versprechungen nicht einhält und kein verlässlicher Partner ist. Serbiens Präsident Aleksandar Vučić lässt bereits wissen, dass die Union dadurch in seinem Land "noch unpopulärer wird und man weniger Vertrauen hat". Seine Folgerung: "Wir kümmern uns um uns selbst."

Wie das konkret aussieht, wird man an diesem Freitag in Moskau beobachten können, wo ein Freihandelsabkommen zwischen Serbien und der von Russland geführten Eurasischen Wirtschaftsunion unterzeichnet wird. Russlands Premier Dmitrij Medwedjew hatte das vor ein paar Tagen in der serbischen Hauptstadt Belgrad mit den Worten angekündigt, man solle den Staaten der Region die Entscheidung zwischen West und Ost "nicht aufdrängen". Im Klartext: Er bietet einen engen Draht zu Russland als Alternative zur EU an. Um Einfluss in der Region kämpfen überdies noch die Türkei und China mit milliardenschweren Investitionen.

Die EU hat auf dem Balkan neue Instabilität geschaffen

Wenn auf dem Balkan der Glaube an den EU-Beitritt verloren geht, droht ein Rückfall in den Nationalismus und schlimmstenfalls ein Auflodern der alten Konflikte. Schließlich ist eine EU-Perspektive zum Beispiel für Serben und Kosovaren die größte Motivation, einen Ausgleich miteinander zu finden. Die dazu von Brüssel initiierten Gespräche liegen bereits seit einiger Zeit brach. Ohne Hoffnungen auf eine Zukunft in der EU werden auch großalbanische Pläne wieder Auftrieb bekommen. Betroffen wären nicht nur Albanien und Kosovo, sondern auch Nordmazedonien mit seiner starken albanischen Minderheit. In Bosnien dürften die Fliehkräfte zwischen Serben, Kroaten und muslimischen Bosniaken noch stärker wirken.

Die Angst vor solchen Szenarien hatte die EU nach dem Ende der kriegerischen Neunzigerjahre bei einem Gipfeltreffen 2003 zu ihrem "Versprechen von Thessaloniki" gebracht: "Die Zukunft der Balkanstaaten liegt in der Europäischen Union", heißt es in der Abschlusserklärung. "Die Länder der Region haben es in der Hand, wie schnell sie dabei voranschreiten." Nun hat sich ihnen Macron in den Weg gestellt. Statt zu stabilisieren, hat die EU auf dem Balkan neue Instabilität geschaffen.

Doch noch ist nicht alles verloren. Im Frühjahr soll die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit Nordmazedonien und Albanien wieder auf die Tagesordnung kommen. Und sogar Nordmazedoniens Präsident Stevo Pendarovski versucht sich bereits in Optimismus: "Keine politische Entscheidung ist ewig", sagt er, "keine Entwicklung ist endgültig."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4654189
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 25.10.2019/mkoh
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.