Europäische Union erhält Auszeichnung in Oslo:Nobelpreis für sechs Jahrzehnte Frieden

Symbolträchtige Ehre für das krisengeschüttelte Europa: Die Europäische Union erhält in diesem Jahr den Friedensnobelpreis. Der Staatenbund habe über sechs Jahrzehnte entscheidend zur friedlichen Entwicklung in Europa beigetragen, begründete das Norwegische Nobelkomitee in Oslo die Entscheidung. Zuvor war der Preisträger zum ersten Mal in der Geschichte bereits vor der offiziellen Bekanntgabe an die Öffentlichkeit gelangt.

Der Friedensnobelpreis geht in diesem Jahr an die Europäische Union. Das gab das Nobelpreiskomitee in Oslo bekannt. Zuvor war zum ersten Mal in der Geschichte der Auszeichnung das Ergebnis bereits vor der Verkündung bekanngeworden - der norwegische TV-Sender NRK hatte bereits 60 Minuten vor dem offiziellen Termin unter Berufung auf "vertrauenswürdige Kreise" darüber berichtet.

Komiteechef Thorbjörn Jagland begründete die Entscheidung damit, dass die Europäische Union über sechs Jahrzehnte entscheidend zur friedlichen Entwicklung in Europa beigetragen habe. Das fünfköpfige Komitee hob in seiner Begründung die deutsch-französische Aussöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg als herausragendes Ergebnis der europäischen Integration heraus. Beide Länder seien in drei Kriege gegeneinander verwickelt gewesen. "Heute ist Krieg zwischen Deutschland und Frankreich undenkbar", hieß es weiter.

Historischer Preis mit aktuellem Symbolwert

Komiteechef Jagland, der seit Jahren als Verfechter der Vergabe an die EU gilt, nannte als weitere Leistungen die Förderung der demokratischen Entwicklungen in südeuropäischen Ländern. Hinzu komme die Integration osteuropäischer Staaten nach dem Mauerfall 1989. Er nannte auch die Befriedung des Balkans. "Dies ist ein historischer Preis sowohl in langfristiger wie in aktueller Perspektive." Der Friedensnobelpreis ist mit umgerechnet 930 000 Euro dotiert.

Die Europäische Union wurde schon mehrfach als Kandidatin für die Auszeichnung gehandelt. Die europäische Integration gilt als Musterbeispiel der friedlichen Zusammenarbeit von Staaten. In der aktuellen Euro-Krise ist die Auszeichnung mit dem Friedensnobelpreis ein wichtiges Zeichen für die EU.

Die EU entstand aus den leidvollen Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs. Im Mai 1950 - im Jahr nach der Gründung der beiden deutschen Staaten - legte Frankreichs Außenminister Robert Schuman einen Plan für eine engere Zusammenarbeit in Westeuropa vor.

Wachstumsschub nach Fall des Eisernen Vorhangs

Im April 1951 wurde die sogenannte Montanunion gegründet, ein Vorläufer der EU: Mit ihr wurden die als kriegswichtig geltenden Branchen Kohle und Stahl in Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, Luxemburg und den Niederlanden unter die Aufsicht einer gemeinsamen Behörde gestellt. Aus der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) entstand am 25. März 1957 mit der Unterzeichnung der Römischen Verträge die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Auch ihr Ziel war es, einen neuen Krieg zwischen europäischen Staaten zu verhindern. Sie wurde 1973 erstmals erweitert.

Nach dem Fall der Mauer und des Eisernen Vorhangs wuchs die Zahl der Mitglieder von EG und später EU Schritt für Schritt auf derzeit 27. Vor allem der in den achtziger Jahren geschaffene Binnenmarkt und der Wegfall der Grenzkontrollen machte ein immer engeres Zusammenrücken der Staaten nötig: Mittlerweile ist aus der Wirtschaftsgemeinschaft die Europäische Union geworden.

Die EU verfügt seit dem Lissabon-Vertrag von 2009 auch über einen eigenen diplomatischen Dienst. Sie ist der weltweit größte Zahler von Entwicklungshilfe. In den vergangenen Jahren ist die politische Entwicklung allerdings durch Stillstand und wirtschaftliche Schwierigkeiten in vielen Mitgliedsländern geprägt.

125 Preisträger seit 1901

Der Friedensnobelpreis wird seit 1901 vergeben, über die Preisträger entscheiden die fünf vom norwegischen Parlament ausgewählte Mitglieder des "Norske Nobelkomite". Die EU ist der 125. Preisträger.

Im Vorfeld hatten neben der EU auch Myanmars Präsident Thein Sein, Radio Echo Moskwy und der kubanische Arzt und Menschenrechtler Oscar Elias Biscet Gonzalez als Favoriten gegolten. Auch Altbundeskanzler Helmut Kohl waren Chancen eingeräumt worden.

Im vergangenen Jahr wurden zum ersten Mal überhaupt drei Frauen ausgezeichnet. Die Journalistin Tawakkul Karman aus dem Jemen teilte sich den Preis mit der liberianischen Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf und Leymah Gbowee, ebenfalls aus Liberia. Davor ging die Auszeichnung an den Menschenrechtler Liu Xiaobo aus China und 2009 an US-Präsident Barack Obama.

Am Donnerstag erhielt in Stockholm der Chinese Mo Yan den Literaturnobelpreis. Zuvor gingen die wissenschaftlichen Auszeichnungen für Medizin, Physik und Chemie an sechs durchweg männliche Preisträger. Überreicht werden sie traditionsgemäß am 10. Dezember, dem Todestag des Preisstifters Alfred Nobel (1833-1896).

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