Europäische Union:Ein hoher Preis

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Dass auf dem Gipfel eine Einigung erreicht wurde, ist wichtig. Aber dass in Europa Rechtsstaatsverächter und Sparsamkeitspopulisten erstarken, wird zu einem immer größeren Problem.

Von Stefan Kornelius

Prinzipiell stimmt der Satz, dass es im Falschen nichts Richtiges geben kann. Bei der Europäischen Union zeigt sich derzeit, dass auch im Richtigen so viel Falsches stecken kann, dass Zweifel am Wert des Unternehmens erlaubt sind. Noch nie jedenfalls hat die EU so viel Geld aufgewendet und dafür so viel Schaden in Kauf genommen. Das kombinierte Krisen- und Haushaltspaket beeindruckt durch Größe und Schlagkraft. Die Umstände seiner Geburt aber frustrieren und werfen ernste Fragen über Konstruktion und Zukunft der Union auf.

Es gehört zur Berufsbeschreibung des europäischen Spitzenpersonals, Kompromisse als Erfolg zu verkaufen. Wenn Frankreichs Präsident also über das Aufbaupaket jubelt - 390 Milliarden statt 500 Milliarden sind besser als überhaupt kein Geld - hat er sogar recht. Aber: Wer dem Klang des Selbstlobs nach dem Gipfel nachlauscht, der hört vor allem Bitterkeit und unverhohlene Aggression.

Die EU war schon immer eine schwer zu steuernde Ansammlung nationaler Interessensverwalter. Nun aber haben sich zwei Blöcke verfestigt, die mit Prinzipien der Union offen erpresserisch umgehen: die Gruppe der Rechtsstaatsignoranten und die Gruppe der national-populistischen Erziehungsbeauftragten. In Kombination haben diese Staaten der Union in den vergangenen Tagen schweren Schaden zugefügt.

Den Rechtsstaatsignoranten, im Kern die ungarisch-polnische Achse, ist mit den Mitteln der Einstimmigkeit nicht beizukommen. Sie benutzen die EU als Melkmaschine, der einstimmig gehegte Rechtsraum bietet ihnen sogar Schutz. Mit den bestehenden Verträgen wird es nicht möglich sein, dem Missbrauch an der Demokratie Einhalt zu gebieten.

Victor Orbán und Mateusz Morawiecki verließen den Gipfel fahnenschwenkend und sprachen von Stolz und nationaler Ehre. Sie wurden auch noch mit gewaltigen Zuschlägen für ihre Budgets belohnt. "Wir haben den Stolz unserer Nation verteidigt", sagte der eine. "Polnisch zu sein ist eine gute Sache an diesem Morgen", rühmte sich der andere. Die EU wird diese Provokationen aussitzen und auf den Wählerwillen hoffen müssen. Oder sie wird ihr Geschäft neu gründen müssen - unter Ausschluss der Regelbrecher. Jetzt, wo das Geld verteilt ist, sind die bestehenden Hebel gegen diese Staaten wirkungslos.

Lange nachwirken wird der Auftritt der Sparsamen, die am Ende so viele Rabatte einstreichen und so hohe Binnenmarkt-Profite erwarten dürfen, dass sie fast schon habgierig erscheinen. Ihre Gemeinschaftspädagogik hängt dabei schmerzlich schief. In Brüssel wurde kein Almosenpaket für darbende Südstaaten verhandelt, sondern der Überlebensplan der EU und ihres Binnenmarktes nach der Pandemie-Zäsur und im Schatten einer sich neu formierenden Weltordnung.

Corona hat mit der Staatsschuldenkrise von 2008 und der Euro-Krise reichlich wenig gemeinsam. Die Staatsschuldenkrise war Ergebnis schlechter Regierungsarbeit, der Regeldruck aus Deutschland damals zwingend, um den Euro am Leben zu erhalten. Nun haben die Sparsamen das Bild eines disfunktionalen Wirtschaftsraums geschaffen, das den Tatsachen nicht entspricht. Die emotionale und belehrerische Herablassung wird man einem Mark Rutte oder einem Sebastian Kurz noch lange nachtragen.

Gefährlich wird diese Haltung, weil sich die vermeintlichen Ordnungshüter als Kämpfer gegen das Establishment geriert haben. Seht her, die mächtigen Gullivers Frankreich und Deutschland werden erfolgreich gefesselt. Mit dieser Haltung bedienen die Sparsamen populistische Ressentiments und vertreten eine Aggression in der Union, die so schnell nicht verfliegen wird.

Vollends falsch ist ihr Vorwurf, Deutschland habe im Spiel der Kräfte die Seiten gewechselt und erledige nun das Geschäft der Nehmerländer. Wäre dem so, hätte der Gipfel jetzt Euro-Bonds diskutiert und nicht einen einmaligen Wiederaufbauplan. Noch im März schienen Euro-Bonds, also die Vergemeinschaftung der Schulden, eine ernste Alternative zu sein. Es war das Verdienst der Bundesregierung, dass sie Frankreich für einen Mittelkurs gewonnen hat, der im Rahmen der bestehenden Verträge gesteuert werden kann.

Zur Klarstellung: Es ist absolut zwingend, dass sich 27 Staaten auf Regeln verständigen, wenn sie 1825 Milliarden Euro verteilen. Dies ist der Union nun gelungen, aber der politische Preis ist hoch. Die Verwerfungen innerhalb der EU sind klar erkennbar. Das Lager der Autokraten und das Lager der Nationalisten haben an Gewicht gewonnen. Das Regelwerk und vor allem das Einstimmigkeitsprinzip stoppen den Reifeprozess der Gemeinschaft. Deswegen wird nun die Debatte um die politische Gestalt einer neuen EU in den Mittelpunkt rücken.

Andererseits verfügt die Gemeinschaft nun über einen Krisenplan, der sie heraushebt in der Welt und ihr die Chance zum Überleben bietet. Das ist nicht wenig.

© SZ vom 22.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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