Europäische Union:Diese Konflikte dominieren den EU-Gipfel

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Bundeskanzlerin Merkel diskutiert in Brüssel mit Griechenlands Ministerpräsident Tsipras und weiteren Gipfel-Teilnehmern. (Foto: AP)
  • Die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten außer Großbritannien haben sich zu einem informellen EU-Gipfel in Brüssel getroffen.
  • Die Agenda spiegelt alle wichtigen Konflikte der Union wider, etwa zu den Europawahlen 2019 und dazu, wer künftig wie viel zahlen soll.
  • "Ich bin sehr besorgt, dass es diesen Graben zwischen Ost und West gibt", sagt Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.

Von Daniel Brössler und Alexander Mühlauer, Brüssel

Angela Merkel hat Verstärkung mitgebracht. Normalerweise schreitet die Bundeskanzlerin allein über den roten Teppich des Europa-Gebäudes. Doch an diesem Freitag ist es anders. Merkel, seit fünf Monaten nur noch geschäftsführend im Amt, kommt zusammen mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und dem italienischen Ministerpräsidenten Paolo Gentiloni zum Brüsseler Gipfel. Die drei Staats- und Regierungschefs wollen vor allem eines demonstrieren: Wir halten zusammen - und wir wollen insbesondere Italien nicht verlieren, das in einer Woche vor unberechenbaren Wahlen steht.

Es ist wie so oft in Brüssel: Auf der Agenda stehen Themen, die eher speziell klingen - und am Ende geht es doch wieder um alles. Gerade bei der Debatte über den EU-Haushaltsrahmen von 2021 bis 2027, über den die Chefs an diesem Freitag erstmals sprechen, spiegeln sich sämtliche Konflikte der Union wider. Wenn es ums Geld geht, müssen alle sagen, was sie wirklich wollen. Und dann gibt es noch eine Frage, die das Zusammenspiel der europäischen Institutionen zu spalten droht: Soll es bei der Europawahl im Frühjahr 2019 wieder Spitzenkandidaten geben?

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Vor allem an die Frontex-Grenzschützer und an strukturschwache Regionen solle mehr Geld fließen, so die Kanzlerin im Bundestag. Die linken Oppositionsparteien kritisieren die Pläne als unmenschlich und leidenschaftslos, die AfD findet sie verschwenderisch.

Als Merkel, Macron und Gentiloni mittags beim Gipfel eintreffen, haben sie schon mit den Sahel-Staaten gesprochen, um den Flüchtlingsstrom nach Europa einzudämmen (siehe Kasten). Auch beim Gipfel lässt sie das Thema Migration nicht los. Mit dem Brexit fehlen der EU jährlich etwa zehn Milliarden Euro im Haushalt; dabei sind sich die Chefs einig, dass neue Aufgaben finanziert werden müssen: die Sicherung der EU-Außengrenzen, eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie ein Ausbau des Studenten-Austauschprogramms Erasmus. "Es muss ein politischer Haushalt sein", sagt Merkel nach dem Gipfeltreffen. Das bedeutet wohl auch Kürzungen, etwa bei der Agrarpolitik, die, so die Kanzlerin, "immer bürokratischer" geworden sei. Beim Geld zeichnen sich gleich mehrere neue Konflikte ab. Früher war das einfacher, da gab es eine klare Front zwischen Nettozahlern und Empfängerländern. Damit ist nun Schluss. Deutschland stand immer auf der Seite der Nettozahler - doch seit die mögliche neue große Koalition sich zu höheren Beiträgen bekannt hat, sind andere auf sich alleingestellt. Es liegt nun an den Niederländern, Österreichern und Skandinaviern, ihren Standpunkt klarzumachen. Und das tun sie auch. Sie wollen nicht mehr Geld nach Brüssel zahlen. "Der Beitrag darf nicht steigen", sagt etwa Hollands Premier Mark Rutte. Dieses Mantra galt auch lange Zeit in Berlin.

Wobei die Frage ist, inwieweit Deutschland sich tatsächlich von den Nettozahlern entfernt. Im Gegensatz zum Koalitionsvertrag ist von der Bereitschaft, mehr Geld zu zahlen, in einem Positionspapier der Bundesregierung zum EU-Finanzrahmen nicht mehr viel übrig. Da ist nur noch davon die Rede, dass Deutschland "auch weiterhin einen angemessenen Beitrag zum EU-Haushalt leisten" wolle.

Umstritten ist unter den EU-Staaten aber nicht nur die Frage, ob das Budget größer werden soll - und falls ja: um wie viel? Es geht auch um den Zeitplan. Viele der Chefs halten das von der EU-Kommission vorgeschlagene Ziel, die Verhandlungen vor den Europawahlen abzuschließen, für unrealistisch.

Man sei sich aber einig, sagt EU-Ratspräsident Donald Tusk nach der Debatte, dass man schneller arbeiten müsse als bisher.

Das alles klingt schon schwierig genug, aber in Wahrheit ist es noch viel komplizierter. "Ich bin sehr besorgt, dass es diesen Graben zwischen Ost und West gibt", sagt Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Der erbitterte Streit um die Verteilung von Flüchtlingen hat tiefe Spuren hinterlassen in der Union. Hinzu kommt nun der Kampf um knapper werdende Mittel, gewürzt mit der Frage, ob Geld aus Brüssel künftig an Bedingungen wie Solidarität und Rechtsstaatlichkeit geknüpft sein soll. Das geht nicht zuletzt in Richtung Warschau, wo die nationalistische Regierung jedwede Aufnahme muslimischer Migranten ablehnt und nach Einschätzung der EU-Kommission den Rechtsstaat aushöhlt.

Polen stehe vor "großen Verhandlungen", sagt Ministerpräsident Mateusz Morawiecki. Er lehnt solche Bedingungen natürlich ab, und er macht klar, dass sein Land keine Abstriche hinnehmen will bei den Fonds, "die bisher gute Dienste für Polen geleistet haben", etwa im Agrarbereich und für die Infrastruktur. Polen habe gar nichts gegen neue Ziele, nur müsse dafür dann auch mehr Geld aufgetrieben werden, sagt er. Am Ende müsse es einen "gesunden, guten Kompromiss" geben.

Nicht nur über Geld reden die Chefs, sondern auch über das zweite große EU-Thema: die Verteilung der Macht. Vor den Europawahlen sind ein paar Fragen zu klären.

Vor allem geht es da um jenes Thema, das Juncker besonders am Herzen liegt. 2014 hatte es erstmals EU-weite Spitzenkandidaten gegeben. Für die christdemokratische Europäische Volkspartei (EVP) hatte Juncker gewonnen und war so Kommissionspräsident geworden. Ein "erfolgreiches Experiment", wie er am Freitag versichert. Er wolle "nicht gerne erleben, dass es jetzt wieder einen Rückschritt gibt, dort wo es winzige demokratieweiterführende Schritte" gegeben habe.

Gewählt wird der Kommissionspräsident vom EU-Parlament nach einem Vorschlag des Rates, also der Staats-und Regierungschefs. Das Parlament hat bereits klar gemacht, dass es niemanden wählt, der nicht vorher Spitzenkandidat war. Es könnten sich daraus aber "keine vollständigen Automatismen ableiten", sagt Merkel dazu. Vielleicht werde einer der Spitzenkandidaten Kommissionspräsident, räumt EU-Ratspräsident Tusk ein. Eine "Garantie" dafür gebe es aber nicht.

© SZ vom 24.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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