Europäische Union:Der Ost-West Konflikt in der EU muss angesprochen werden

French President Macron, Hungarian PM Orban, Poland's counterpart Szydlo and Slovakia's counterpart Fico attend a meeting of the Visegrad Group in Brussels

Die Regierungschefs von Polen, Ungarn, Tschechien und der Slowakei treffen sich mit Frankreichs neum Präsidenten Macron. Macron hatte die östlichen Mitglieder zuvor ermahnt, die EU sei kein "Supermarkt", in dem man sich nach Belieben bedienen könne, ohne sich an die Werte zu halten.

(Foto: REUTERS)

Auf dem EU-Gipfel in Brüssel hat Emmanuel Macron den Grundkonflikt der Europäischen Union offen thematisiert. Und das war auch nötig.

Kommentar von Daniel Brössler

Polens Regierende sind beleidigt. Sie finden, dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ihnen unrecht getan hat, als er davor warnte, die Europäische Union als Supermarkt zu missbrauchen, aus dem man sich einfach bedienen kann. Richtig ist, dass Polens starker Mann Jarosław Kaczyński die EU tatsächlich nicht als Supermarkt begreift. Im Supermarkt müsste man bezahlen. Bei einem Treffen mit seinem Bruder im Geiste, dem Ungarn Viktor Orbán, bezeichnete Kaczyński die Union vielmehr einmal als Stall, aus dem man vortrefflich gemeinsam Pferde stehlen könne. Die Kritik Macrons ist verletzend. Sie ist es, weil sie die Angesprochenen im Kern trifft.

Allerdings sieht es so aus, als würde Macron damit ein Bild kaputt machen, das nicht zuletzt um seine Person herum auf dem EU-Gipfel gezeichnet werden sollte. Es ist das Bild einer Union, die einig und selbstbewusst das Jammertal hinter sich lässt, sich in der Verteidigungspolitik zusammenrauft und im Handel dem Protektionisten Donald Trump die Stirn bietet. Warum also nun gerade jetzt den Ost-West-Streit innerhalb der Union betonen? Weil es sein muss. Weil der Grundkonflikt in der EU nicht durch Schweigen verschwinden wird.

In diesem Konflikt geht es zunächst um Solidarität in der Flüchtlingskrise. Die Weigerung von Polen, Tschechen und Ungarn bei der bescheidenen Verteilung von Flüchtlingen mitzumachen, empört im Westen. Allerdings sollten die Deutschen nicht vergessen, dass auch sie lange keinen Grund gesehen haben, den Südeuropäern solidarisch bei der Aufnahme von Flüchtlingen zu helfen. Wer verbindliche Mehrheitsbeschlüsse missachtet, gegen den gibt es in der EU Rechtsmittel. Das ist in der EU keine Krise, sondern Alltag.

Wichtiger ist etwas anderes: Macrons Wort vom Supermarkt ist so wirkmächtig, weil es dem Gefühl Ausdruck verleiht, dass nur genommen und nicht gegeben wird. So pauschal wäre das ungerecht. Mit Sicherheit aber wird die harte Haltung im Osten die Bereitschaft der reichen Staaten schmälern, über EU-Fonds Geld in polnische Straßen oder tschechische Start-ups zu stecken. Schon ist in Warschau zu hören, die Euros landeten doch wieder in Deutschland und Frankreich. Die Diskussion hat noch gar nicht richtig begonnen, aber ihr Gift wirkt schon.

Um Geld und Quoten aber geht es nur an der Oberfläche. Ungarns Premierminister Viktor Orbán dämonisiert "Brüssel" in regelrechten Hetzkampagnen als Terrorimporteur. Der Pole Jarosław Kaczyński schafft beharrlich die Unabhängigkeit der Justiz ab. Tschechiens Präsident Miloš Zeman plaudert mit Kremlchef Wladimir Putin darüber, dass Journalisten zu liquidieren seien. Nicht die EU ist in der Krise, die immer noch jungen Demokratien in der Mitte Europas sind es.

Polens Regierung behauptet, es gebe gar keinen Wertekonflikt. Die Werte würden eben nur unterschiedlich interpretiert. Das erinnert nicht nur zufällig an den Versuch im Hause Trump, Lügen neu zu verpacken und als "alternative Fakten" unters Volk zu bringen. Die Antwort der Europäer muss daher klar sein: Nein, die Werte der EU sind keine amorphe Masse. Sie werden benötigt als tragendes Fundament. Die Union ist kein Staat und sie hat auch kein Staatsvolk. Sie verspricht gegenseitigen wirtschaftlichen Nutzen, aber dieses Versprechen reicht nicht aus, um dieses komplexe Gebilde zusammenzuhalten. Dazu bedarf es der Gemeinsamkeit der Demokratien und Rechtsstaaten.

Die Europäische Union wird nicht an Streit zugrunde gehen. Tödlich wäre verlogene Harmonie.

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