Europäische Union:Der Kampf ist eröffnet

Mehr Sozialleistungen fordern die einen, besseren Grenzschutz die anderen. Was steht in den Parteiprogrammen zur Europawahl?

Von Daniel Brössler und Cerstin Gammelin, Berlin

Mit der Aufforderung, Europa jetzt "richtig" zu machen, hat die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer auf einen Appell des französischen Präsidenten Emmanuel Macron reagiert, aber auch den Europa-Wahlkampf in Deutschland eingeläutet. Während sie Rückendeckung aus der eigenen Partei erhielt, kam Kritik von SPD, Grünen und FDP. Welches sind die zentralen Themen vor der Wahl am 26. Mai? Ein Überblick.

Soziales

Die deutliche Ansage von Annegret Kramp-Karrenbauer, "eine Europäisierung der Sozialsysteme und des Mindestlohns wären der falsche Weg", legt einen Zwiespalt offen, der quer durch Europa, aber auch durch Deutschland geht. Einerseits fordern viele Politiker, Brüssel müsse mehr für die Bürger tun. Andererseits verweigern sie den europäischen Institutionen jede Möglichkeit, von den Bürgern als sozial wahrgenommen zu werden. Die Europäische Kommission soll sich um den Binnenmarkt kümmern, um Handel, Freizügigkeit und Wettbewerb. Der Bürger kommt bei den Aufgaben, die von den Mitgliedstaaten nach Brüssel delegiert sind, nicht vor. Die SPD will diesen Widerspruch auflösen und sich im Europawahlkampf für einen europäischen Mindestlohn einsetzen. Das bedeutet, dass es in allen Ländern eine (unterschiedlich hohe) Lohnuntergrenze geben soll. "Die SPD will ein soziales Europa der Bürgerinnen und Bürgern, deshalb wird der europäische Mindestlohn eine zentrale Forderung in unserem Wahlkampf sein", sagt Spitzenkandidatin Katarina Barley.

Streit zwischen SPD und Union über Zukunft der Regierung Merkel

Einigkeit in der Europapolitik: Kanzlerin Angela Merkel (links) und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer Mitte Februar in Berlin.

(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Auch die Grünen sind für einen europäischen Mindestlohn. "Wir wollen ein Europa der sozialen Sicherheit", sagt Spitzenkandidat Sven Giegold. Die Linke will die EU als "soziale Schutzmacht" ausbauen. Man müsse örtliche Tariflöhne im Rahmen der Freizügigkeit schützen, fordert Fraktionsvize Fabio De Masi. Übrigens ist die Forderung nach einem europäischen Mindestlohn auch in der EVP, zu der CDU und CSU gehören, durchaus beliebt. "Man muss durch Arbeit jenes Einkommen haben, das man zum Leben braucht, ohne zum Sozialamt gehen zu müssen" - mit diesen Worten warb schon Jean-Claude Juncker im Europawahlkampf 2014 dafür.

Migration

In kaum einem Konflikt in der EU sind die Fronten so klar und so verhärtet. "Die von uns angestrebten europäischen Lösungen für die Aufnahme von Flüchtlingen und Abweisung von Wirtschaftsmigranten waren bisher nicht umsetzbar", schrieb CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer in ihrem Europa-Aufsatz. Sie betonte aber einen Punkt, über den in der EU weitgehende Einigkeit herrscht: die Notwendigkeit, die Außengrenze der EU besser zu sichern durch den Ausbau der Grenzschutzagentur Frontex. Für Rechtspopulisten und Nationalisten, denen europaweit große Stimmenzuwächse vorhergesagt werden, dürfte das Thema Migration allerdings zentral bleiben. Die AfD warnt im Europa-Wahlprogramm vor einer "Asyl- und Immigrationspolitik, welche die europäische Zivilisation in existenzielle Gefahr bringt".

Demokratie und Rechtsstaat

Zwei EU-Staaten, Polen und Ungarn, stehen derzeit in Brüssel am Pranger, weil es erhebliche Zweifel daran gibt, ob sie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit noch in ausreichendem Maße gewährleisten. Dazu sind sie vertraglich verpflichtet. "Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören", heißt es in Artikel 2 des EU-Vertrages. Zwar sieht der Vertrag die Möglichkeit vor, die Rechte von Mitgliedstaaten, die diese Werte "schwerwiegend und anhaltend" verletzen, auszusetzen. Das ist aber kompliziert und in der Praxis kaum anwendbar.

Weber bei Orbán

Wegen des möglichen Fidesz-Ausschlusses aus der Europäischen Volkspartei besucht EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber am Dienstag den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Das sagte eine Sprecherin der konservativen Parteienfamilie am Montag der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel. In der EVP gibt es Bestrebungen, Fidesz wegen nationalistischer und EU-kritischer Positionen auszuschließen. Mit seinem Besuch will der CSU-Politiker Weber, der als Spitzenkandidat für die Europawahl antritt, dies abwenden. Der EVP-Vorstand wird nächste Woche Mittwoch über den weiteren Umgang mit Orbán Fidesz entscheiden. Unmut erregte zuletzt eine ungarische Plakataktion gegen den von der EVP gestellten EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker. DPA

Im Europa-Wahlkampf wird darüber gestritten werden, ob und wie effektiver Druck auf Staaten ausgeübt werden kann, welche die Grundwerte der EU verletzen. Im Entwurf für das Europa-Wahlprogramm der SPD wird etwa gefordert: "Weniger Geld für Mitgliedstaaten, die demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien missachten." FDP und Grüne fordern darüber hinaus die regelmäßige Überprüfung aller EU-Mitgliedstaaten. Den Grünen schwebt eine Kommission mit Verfassungsexperten aus allen Mitgliedstaaten vor. Ähnliche Überlegungen gibt es bei den Bürgerlichen von der EVP. Es dürfe keinen "Rabatt bei den Grundrechten" geben, sagt auch deren Spitzenkandidat Manfred Weber (CSU) - und versucht, dies im Konflikt mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán gerade unter Beweis zu stellen. Allerdings warnt er auch vor der Gefahr eines Ost-West-Konfliktes innerhalb der EU.

Verteidigung

Annegret Kramp-Karrenbauer befürwortet den Bau eines europäischen Flugzeugträgers. Konkrete Pläne in diese Richtung sind in nächster Zeit eher nicht zu erwarten. Um eine stärkere Rolle der EU bei Militär und Rüstung wird es im Wahlkampf aber sicher gehen. So fordert die FDP "den Aufbau einer europäischen Armee unter gemeinsamem Oberbefehl und unter parlamentarischer Kontrolle zur eigenverantwortlichen Gewährleistung der Sicherheit in und für Europa". Die Linke wiederum will die "Militarisierung" der EU beenden.

Wirtschaft, Währung

Der Euro ist weiterhin ein Reizthema, das spaltet. Länder wie Polen und Ungarn haben beschlossen, dem Euro nicht beizutreten, solange "der Patient noch auf der Intensivstation ist". Der französische Präsident Macron lässt hingegen keine Zweifel daran, dass die Euro-Zone das Herz Europas ist, das demokratisch und institutionell gestärkt werden müsse. Ihm schwebt ein eigener Finanzminister vor, der die Haushaltspolitik koordiniert; ein Parlament für die Euro-Zone und ein Haushalt, den er über Unternehmensteuern mit einem hohen dreistelligen Milliarden Betrag füllen wollte. Die Union liest solche Vorschläge skeptisch, weil sie fürchtet, sie führten zu Schulden, die Deutschland bezahlen solle. Keine Vergemeinschaftung von Schulden, erwidert Kramp-Karrenbauer. Die SPD steht den Ideen aus Paris aufgeschlossener gegenüber. Die Grünen auch. Die FDP ist hin- und hergerissen. Sie zieht mit Macrons Bewegung in den Europawahlkampf - warnt aber auch vor Finanztransfers.

Klimaschutz

Um den Schutz des Klimas wird heftig gestritten werden. Die CDU-Chefin begnügt sich mit der Forderung eines europäischen Pakts für Klimaschutz, der Jobs und Wirtschaftskraft erhält und gleichzeitig "neue Entwicklungschancen" entstehen lässt. Der Pakt soll zwischen europäischen und nationalen Akteuren aus Wirtschaft, Beschäftigten und Gesellschaft ausgehandelt werden. Das klingt so, als wolle Kramp-Karrenbauer den Weg weitergehen, der bereits jetzt dazu führt, dass Deutschland sein Klimaziel für 2020 verfehlen wird. Dazu passt, dass das von SPD-Umweltministerin Svenja Schulze vorgelegte deutsche Klimaschutzgesetz gerade im CDU-geführten Kanzleramt auf Eis liegt. Die SPD will ihr Image der Kohlepartei loswerden. Für die Grünen ist Klimaschutz selbstverständlich. Die FDP will "politische Klimaziele mit Vernunft und Augenmaß setzen und erreichen".

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