Europäische Armee:Das Ende der Enthaltsamkeit

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23 Staaten der Europäischen Union vereinbaren gemeinsame militärische Projekte und gehen so den ersten Schritt in Richtung einer europäischen Armee. Sie soll keine Konkurrenz zur Nato darstellen.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Mit der Zusammenarbeit wollen die EU-Länder auch „kosteneffizienter“ werden – etwa bei Rüstungskäufen. (Foto: Krisztian Bocsi/Bloomberg)

Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini nannte es einen "ziemlich historischen Tag". Deutschlands geschäftsführender Außenminister Sigmar Gabriel sagte: "Wir machen heute einen, glaube ich, historischen Schritt." Sein französischer Kollege Jean-Yves Le Drian bezeichnete ihn zurückhaltender als "bedeutend". Es wirkte, als wüssten die Minister selbst nicht so genau, ob sie ihrer Begeisterung nun freien Lauf lassen oder sie doch lieber bändigen sollen. Am Ende, nachdem die Außen- und Verteidigungsminister aus 23 EU-Staaten das entscheidende Dokument unterzeichnet hatten, fasste Mogherini die Stimmung so zusammen: "Wir haben gerade etwas unterschrieben, das wir, aber auch der Rest der Welt, vor einem Jahr nicht für möglich gehalten hätten." Worum es geht, ist der Bruch mit der verteidigungspolitischen Enthaltsamkeit der EU.

Beginnend mit dem Nato-Staat Belgien und endend mit dem Nicht-Nato-Land Schweden unterzeichneten die Minister eine gemeinsame "Mitteilung über die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (Pesco). Für Deutschland setzten Gabriel und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ihre Namen unter das Dokument, das erstmals von einer besonderen Möglichkeit im Vertrag von Lissabon Gebrauch macht. Sie erlaubt es den dazu bereiten Staaten, mit einer vertieften Kooperation in der Verteidigungspolitik voranzuschreiten. "Es ist ein weiterer Schritt in Richtung der Armee der Europäer", sagt von der Leyen. Dank der Initiative Deutschlands und Frankreichs nehme die europäische Sicherheits- und Verteidigungsunion nun Formen an. Wenn eine Krise komme, müsse "Europa bereit sein, Verantwortung zu übernehmen".

Über die formelle Gründung der Pesco muss noch im Rat der EU mit qualifizierter Mehrheit entschieden werden. Die Außenbeauftragte Mogherini kündigte an, den Beschluss schon in den nächsten Wochen herbeizuführen. Weiteren EU-Staaten steht es dabei frei, sich der Pesco noch anzuschließen. Als "starkes politisches Signal" bezeichnete von der Leyen die Teilnahe von bereits 23 Ländern. Das neutrale Österreich ebenso wie Polen hatten erst kurzfristig entschieden, das Dokument zu unterschrieben. Sein Land habe ein Interesse an einer stärkeren Kooperation im Sicherheitsbereich, sagte Österreichs Außenminister Sebastian Kurz. "Das muss natürlich stets im Einklang mit unserer Neutralität sei, aber das ist in diesem Fall auch gewährleistet", betonte er.

Die Verteidigungsinitiative der EU soll nicht in Konkurrenz zur Nato stehen - sondern diese ergänzen

Alle Pesco-Teilnehmer gehen 20 bereits vereinbarte Verpflichtungen ein, allen voran jene, "regelmäßig den Verteidigungshaushalt real erhöhen, um die vereinbarten Ziele zu erreichen". Allerdings hat sich Deutschland weitgehend mit der Forderung durchgesetzt, die Latte nicht zu hoch zu hängen, um möglichst vielen Staaten die Teilnahme zu ermöglichen. Frankreich hatte für ein möglichst ambitioniertes Anforderungsprofil plädiert. Neben dem Austrittskandidaten Großbritannien haben bislang Dänemark, Malta, Portugal und Irland nicht ihre Teilnahme erklärt.

Ausdrücklich soll die Verteidigungsunion nicht in Konkurrenz zur Nato konzipiert werden. "Wir haben die Möglichkeit, auch die Arbeit der Nato zu stärken", sagte die Außenbeauftragte Mogherini. Das gelte etwa bei der Abwehr hybrider Gefahren, bei denen sich militärische und nicht-militärische Mittel vermischen. "Wir haben Kompetenzen und Instrumente, die die Nato nicht hat", betonte sie. Aufgaben sehe sie für die EU auch in Afrika. Grundsätzlich könne ein stärkeres Engagement der EU zu einer stärkeren transatlantischen Lastenteilung beitragen. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg begrüßte das Vorhaben. "Eine stärkere europäische Verteidigung hat das Potenzial, uns bei der Steigerung der Verteidigungsausgaben zu helfen, neue Kapazitäten zu schaffen und die Lastenteilung in der Allianz zu verbessern", sagte er vor einem Treffen mit den EU-Ministern. Nach dem Amtsantritt von Präsident Donald Trump haben die USA ihren Ruf nach höheren Verteidigungsausgaben der anderen Nato-Staaten noch einmal deutlich verstärkt, das Thema dominierte zuletzt das transatlantische Verhältnis.

Von der Pesco und einem ebenfalls geplanten Europäischen Verteidigungsfonds erhofft sich die EU nun Synergieeffekte. "Das europäische Problem ist nicht, wie viel wir ausgeben, sondern dass wir es in fragmentierter Weise ausgeben", sagte Mogherini. Das "Verzetteln" koste viel Geld und sei ineffizient, hob von der Leyen hervor. Auf Dauer Sei die Kooperation "kosteneffizenter und besser für Europa".

Bislang gibt es mehr als 50 Vorschläge für Pesco-Projekte. Davon sollen für den Start etwa zehn ausgesucht werden. Woran sie sich beteiligen, entscheiden die Staaten selbst. Von der Leyen forciert den Aufbau eines EU-Sanitätskommandos. Wichtig sei auch eine schnellere Verlegefähigkeit von Truppen, sagte sie.

© SZ vom 14.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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