Europäische Union:Asselborn provoziert den großen Ungarn-Krach

Balkanroute ein Jahr danach

Ungarische Soldaten bei der Errichtung eines Grenzzauns im September 2015.

(Foto: Balazs Mohai/dpa)
  • Luxemburgs Außenminister Asselborn macht mit seinen Überlegungen zu Ungarns möglichem EU-Ausschluss von sich reden.
  • Tatsächlich hat er in der Politik nur wenige Unterstützer: Bundesaußenminister Steinmeier distanziert sich von der Forderung.
  • Dabei ist ein dauerhafter Ausschluss nach geltender Rechtslage ohnehin nicht möglich.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Die Europäische Union ist ein Verein, aus dem man austreten kann. Im Vertrag von Lissabon gibt es dafür den mittlerweile berühmten Artikel 50; und wenn die Briten ihrem Referendum Taten folgen lassen wollen, werden sie ihn bemühen müssen. Aber ein Ausschluss?

"Wer wie Ungarn Zäune gegen Kriegsflüchtlinge baut oder wer die Pressefreiheit und die Unabhängigkeit der Justiz verletzt, der sollte vorübergehend oder notfalls für immer aus der EU ausgeschlossen werden", hat nun der Außenminister von Luxemburg, Jean Asselborn, gefordert. Er reagierte damit auf bedrückende Zustände an der ungarisch-serbischen Grenze und auf das Anti-Flüchtlings-Referendum, das Ungarns rechtsgerichteter Ministerpräsident Viktor Orbán am 2. Oktober abhalten lassen will. Das Land sei "nicht mehr weit weg vom Schießbefehl", sagte Asselborn der Welt. Die Union könne "ein solches Fehlverhalten nicht tolerieren".

Was kann, was muss die Europäische Union tolerieren?

Genau darum geht es in einer Debatte, die in der EU seit Jahren geführt, nun aber von Asselborn mit ungewöhnlich scharfen Worten noch einmal angeheizt worden ist: Was kann, was muss die Europäische Union tolerieren? "Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören", steht in Artikel 2 des EU-Vertrages geschrieben. Diese Werte seien allen Mitgliedstaaten "gemeinsam". Das ist kein Wunsch, keine Forderung, sondern eine Feststellung. Darin liegt das Problem, denn immer öfter müssen sich die Europäer fragen, ob diese Feststellung noch stimmt.

Etwa im Falle Polens. Die national-konservative Regierung dort hat sich die Justiz des Landes vorgeknöpft und damit große Sorgen um Demokratie und Gewaltenteilung hervorgerufen. Die EU-Kommission sprach "Empfehlungen zur Rechtsstaatlichkeit" aus, die bisher wenig Wirkung in Warschau entfaltet haben.

Schärfe im Ton hat oft mit der Parteizugehörigkeit zu tun

In einer Resolution will das Europäische Parlament an diesem Mittwoch die Linie der Kommission unterstützen und die polnische Regierung zum Einlenken auffordern. "Wenn es um die Grundwerte Europas geht, muss Europa auch zu den Grundrechten der Menschen stehen und diese auch verteidigen", begründet das der Chef der Europäischen Volkspartei (EVP) im Parlament, Manfred Weber (CSU). Asselborns Attacke gegen Budapest aber lehnt der Christsoziale ab. Er habe "kein Verständnis für diese Überlegungen, jetzt über einen Ausschluss von Mitgliedstaaten nachzudenken".

Schärfe und Unschärfe in der Kritik hat oft auch mit der Zugehörigkeit zu Parteifamilien zu tun. In Webers Fraktion sitzen elf Abgeordnete aus Orbáns Fidesz-Partei, während die in Polen regierenden Nationalkatholiken bei den Europäischen Konservativen und Reformern (EKR) eine politische Heimat gefunden haben. Die Leute des ebenfalls gern gegen Flüchtlinge agitierenden slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico sitzen bei den Sozialdemokraten.

"Man muss miteinander reden und nach Lösungen suchen, auch wenn es schwierig ist. Das gilt auch für die Rolle Orbáns in der EVP", fordert der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok. "Auch mir gefällt manches an der ungarischen Politik nicht. Und auch an der luxemburgischen Politik hätte ich was zu kritisieren. Aber einfach den Ausschluss eines Landes aus der EU zu fordern, das geht nicht", sagt Brok.

Steinmeier sträubt sich gegen den Ausschluss Ungarns

Auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier, Sozialdemokrat wie Asselborn, distanziert sich. "Das ist nicht meine persönliche Haltung, einem europäischen Mitgliedstaat die Tür zu weisen. Wir müssen uns den komplizierten Debatten, die es gibt, auch stellen", sagt er. Ungarns Außenminister Péter Szijjártó greift Asselborn persönlich an. Der Luxemburger habe sich schon in der Vergangenheit als "intellektuelles Leichtgewicht" erwiesen. Interessant sei, dass in Asselborn und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zwei Vertreter eines "Steueroptimierungslandes" Lastenteilung verlangten.

Asselborn ist seit zwölfeinhalb Jahren Außenminister und wusste ungefähr, was kommen würde. Die Ausläufer der Empörung erreichen ihn am Dienstag in Moskau, wo er Russlands Außenminister Sergej Lawrow trifft. "Es geht nicht gegen ein Volk oder gegen ein Land", sagt Asselborn. Er sehe die EU in größter Gefahr. "Unsere Gründungsväter und -mütter haben gewusst, dass man die Gemeinschaft nicht nur auf Strukturen, sondern auch auf Werten aufbauen muss." Dass ein ganzes Land mit Sprüchen gegen Flüchtlinge zuplakatiert werde, verstöre ihn zutiefst. Es sei ihm mit seinen scharfen Worten um einen Weckruf vor dem Sondergipfel in Bratislava Ende der Woche gegangen: "Wir können nicht indifferent bleiben. Ich habe etwas gesagt gegen die Gleichgültigkeit. Es muss ein Ruck durch Europa gehen. Wir machen sonst alles kaputt."

Asselborns Wunsch setzt eine Regeländerung voraus

Auch Asselborn weiß, dass ein Ausschluss gar nicht möglich wäre - jedenfalls nicht nach geltender Rechtslage. Die sieht zwar zum Abschluss eines komplizierten Verfahrens die Möglichkeit vor, die Mitgliedschaft eines EU-Staates zu suspendieren. Allerdings nur, wenn die anderen Staaten einstimmig eine "schwerwiegende und anhaltende Verletzung" der Werte der EU feststellen. Auch er wisse, sagte Asselborn schon der Welt, dass es diese Einstimmigkeit nicht geben werde. Wünschenswert sei daher, die Regeln zu ändern.

Das ist weit entfernt von der Wirklichkeit im Europäischen Rat. Kritik an Polen etwa überlassen die Staats- und Regierungschefs gerne der EU-Kommission. Nach dem Brexit-Votum wollen sie in Bratislava Handlungsfähigkeit und Einigkeit demonstrieren - auch wenn ein Treffen von Kanzlerin Angela Merkel mit den Kollegen aus den Visegrád-Staaten kürzlich gezeigt hat, wie schwer das wird. Die Regierenden aus Polen, Ungarn, Tschechien und der Slowakei hatten Merkel spüren lassen, dass sie sich eigentlich eine andere EU wünschen. Erst vor wenigen Tagen beschimpfte Orbán Kommissionschef Juncker und den Präsidenten des EU-Parlaments, Martin Schulz, als "Nihilisten". Die Flüchtlingskrise sei für diese Politiker eine "Schnellstraße, um das auf Nation und Christentum beruhende Europa zu zerstören".

Als "Nihilist" hat nun auch Außenminister Szijjártó seinen luxemburgischen Kollegen Asselborn bezeichnet. Der sagt: "Es hat sich viel zum Schlechteren verändert in den letzten zwölfeinhalb Jahren."

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