Europäische Integration:Schäuble schlägt tiefgreifende EU-Reform vor

Der Bundesfinanzminister will mehr Europa - mit allen Konsequenzen. Am Rande seiner Asien-Reise skizziert Wolfgang Schäuble, wie er sich die EU in Zukunft vorstellt: Mehr Macht für den EU-Währungskommissar und das Europaparlament. Der Vorschlag ist mit dem Kanzleramt abgestimmt.

Claus Hulverscheidt, Abu Dhabi

Wolfgang Schäuble

Finanzminister Wolfgang Schäuble: "Der Haushaltskommissar muss weltweit so gefürchtet sein, wie es der Wettbewerbskommissar bereits heute ist."

(Foto: dpa)

Der Luftwaffen-Airbus mit der Flugnummer GAF817 hatte von Thailand kommend gerade den Golf von Bengalen erreicht, als sich Wolfgang Schäuble entschloss, den Turbulenzen in 10.000 Meter Höhe ein paar sehr irdische hinzuzufügen: Mit einem ebenso weitreichenden wie ehrgeizigen Reformprogramm will der Bundesfinanzminister die Statik der Europäischen Union grundlegend verändern und "einen großen Schritt in Richtung Fiskalunion gehen".

Kritik, Ärger und auch Verwirrung sind programmiert, denn es war schließlich Schäuble, der noch vor wenigen Tagen davor gewarnt hatte, die Bemühungen um eine Beendigung der Euro-Krise durch dauernde öffentliche Vorschläge zu torpedieren. Dass er nun seinen eigenen Ratschlag ignoriert, hat mit einem Zwischenbericht zu tun, den die Chefs der EU-Kommission, des Europäischen Rats, der Euro-Gruppe und der Europäischen Zentralbank vorgelegt haben.

Die vier Präsidenten haben den Auftrag, Lehren aus der jüngsten Finanz- und Schuldenkrise zu ziehen und Ideen für eine Änderung der EU-Regularien zu entwickeln. Das, was bisher bekanntgeworden ist, hat den Bundesfinanzminister alarmiert: zu wenig, zu vage und zumindest teilweise in die falsche Richtung, so Schäubles vernichtendes Urteil.

Währungskommissar wird mächtiger

Konkret will der Minister erreichen, dass der EU-Währungskommissar in Zukunft sehr viel stärker als bisher in die Budgetplanung der Mitgliedsstaaten hineinregieren kann. So soll er künftig allein entscheiden, ob er gegen die Haushaltsführung eines Landes vorgeht oder nicht. Er müsste sich also nicht mehr darum bemühen, die übrigen Mitglieder der Kommission von seinem Vorhaben zu überzeugen.

Auch könnte er den Haushaltsentwurf einer Regierung oder gar das bereits vom Parlament verabschiedete Haushaltsgesetz zurückweisen, wenn es seiner Auffassung nach gegen EU-Regeln verstößt. Zwar darf er keine Detailänderungen vorgeben, etwa eine Kürzung der Renten oder die Anhebung der Mehrwertsteuer, er kann aber eine Senkung der Neuverschuldung verlangen. "Der Haushaltskommissar muss weltweit so gefürchtet sein, wie es der Wettbewerbskommissar bereits heute ist", sagte Schäuble.

Europäisches Parlament erhält mehr Rechte

Auch wenn ein Land nach Inkrafttreten des Haushaltsgesetzes von den genehmigten Werten abweicht, soll der Kommissar allein und ohne Rücksprache mit dem sogenannten Kollegium beim EU-Finanzministerrat die Einleitung eines Defizitverfahrens oder die Verhängung von Sanktionen beantragen können. Vorabblockaden innerhalb der EU-Kommission - etwa durch den Kommissar, dessen Land betroffen ist - könnten so vermieden werden. "Bei allen Dingen, die im EU-Stabilitätspakt geregelt sind, soll der Haushaltskommissar allein vorgehen können", sagte der Finanzminister.

Dass die nationalen Parlamente durch die Neuregelung in ihrer Haushaltshoheit beschränkt würden, will Schäuble hinnehmen. Schon heute werde das Budgetrecht etwa des Bundestags durch EU-Bestimmungen begrenzt, sagte er. Auch Angst vor dem Bundesverfassungsgericht hat der Minister nach eigenem Bekunden nicht: Bisher hätten die Karlsruher Richter EU-Verträge noch immer gebilligt.

Dem Einwand, eine derartige Machtfülle des Haushaltskommissars vergrößere das Demokratiedefizit in Europa weiter, will der Minister auch begegnen, indem er die Rechte des Europäischen Parlaments stärkt. Es soll künftig sehr viel früher als bislang in alle haushaltsrelevanten Fragen einbezogen werden.

Vorschlag mit dem Kanzleramt abgestimmt

Außerdem soll sich die Abgeordnetenkammer künftig in länderbezogene Unterparlamente aufteilen können: Sind beispielsweise Einwanderungsfragen betroffen, entscheiden nur die Abgeordneten aus den Unterzeichnerstaaten des Schengen-Abkommens. Geht es um den Euro-Raum, dürfen nur die Parlamentarier aus den 17 Mitgliedsländern mitstimmen. Ihre Kollegen aus den zehn Staaten mit eigenen Währungen wären hingegen außen vor.

Für eine Umsetzung von Schäubles Plänen wären umfangreiche Änderungen der EU-Verträge erforderlich. Diese wiederum erforderten einen Konvent, dessen Einberufung nach den Vorstellungen des Ministers schon im Dezember beschlossen werden könnte.

Um den Konvent zum Erfolg zu führen, will der Minister den genauen Arbeitsauftrag mit allen Beteiligten bereits im Vorfeld möglichst exakt absprechen. Sollte sich am Ende ein Land wie Großbritannien weigern, die Reformen mitzumachen, will Schäuble sie notfalls auch nur in einer Koalition der Willigen - darunter alle 17 Euro-Länder - umsetzen. Den Kollegen im EU-Finanzministerrat hat der Minister seine Überlegungen bereits vorgetragen. Auch mit dem Kanzleramt sind sie abgesprochen.

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